Hölderlin und die Liebe

Zum 250. Geburtstag von Friedrich Hölderlin: „Was ist alles, was in Jahrtausenden die Menschen taten und dachten, gegen einen Augenblick der Liebe?“ Dieser Ausruf Hölderlins klingt fast ein wenig nach dem berühmten Hohelied der Liebe.

Morgengedanken 20.3.2020 zum Nachhören (bis 19.3.2021):

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Einmal in seinem Leben hat er diesen Augenblick erlebt. Es war sogar etwas mehr als ein Augenblick, es waren ein paar Wochen, die er mit seiner Diotima im Sommer 1796 in Kassel und Bad Driburg verbrachte. Dorthin sind sie vor den französischen Truppen geflohen, die Frankfurt bombardierten. Zurück blieb der Hausherr, der Bankier Gontard, der seine Frau Susette und die gemeinsamen Kinder in Sicherheit wissen wollte.

Harald Klauhs
ist Literaturredakteur der Tageszeitung „Die Presse“

Liebe zur Schönheit

„Diotima! seelig Wesen! / Herrliche, durch die mein Geist, / Von des Lebens Angst genesen, / Götterjugend sich verheißt!“ So besang Hölderlin Susette Gontar. Die ganze Szenerie kann als Vorbild für die unmögliche, dafür aber umso intensivere romantische Liebe gelten. Im Falle von Susette und Friedrich endete sie nicht wie bei Heinrich von Kleist und Henriette Vogel mit dem gemeinsamen Tod, sondern weniger theatralisch zuerst mit Hausverbot für den Liebhaber und ein paar Jahre später mit dem Tod der Geliebten durch Krankheit. Inwieweit ihr Ableben zu seiner Verwirrung beitrug, wissen wir nicht. Spekuliert wurde viel darüber.

Diotima war für Hölderlin die Personifikation seiner Liebe zur Schönheit. Fragen darf man sich, ob er sie wirklich als Mensch, als Frau wahrgenommen hat und nicht nur als Idealbild. Sie war der sichtbare Ausdruck dessen, was er „höhere Aufklärung“ nannte. Die sollte den durch die Kant’sche Aufklärung ausgelösten Widerstreit zwischen unserem Selbst und der Welt überwinden. Wodurch? Durch Verschmelzen mit der ganzen Menschheit. „Diesen Kuss der ganzen Welt“, dichtete Schiller. Hölderlin litt zeitlebens an seiner inneren Spannung. Im ozeanischen Gefühl der Vereinigung erlebte Hölderlin die reine Gegenwart. Ein arkadischer Zustand, der keine Vergangenheit und keine Zukunft kennt. Zugleich aber ein Zustand des Augenblicks. Wie lässt er Hyperion sagen: denn “das macht uns arm bei allem Reichtum, dass wir nicht allein sein können, dass die Liebe in uns solange wir leben, nicht erstirbt.“

Musik:

Alfred Brendel/Klavier: „Adagio - 2. Satz“ aus: Sonate für Klavier Nr. 52 in Es-Dur Hob. XVI/52 von Joseph Haydn
Label: Philips 4163652