Zukunftsfähiger Dialog

Am 4. Februar trafen sich in Abu Dhabi hohe Religionsvertreter mit Journalisten und Jugendlichen. Es war der erste Jahrestag einer äußerst prophetischen, zukunftsfähigen Erklärung, die Papst Franziskus und der Großscheich der Al-Azhar-Universität gemeinsam bei ihrem Treffen 2019 im Emirat abgegeben hatten.

Zwischenruf 29.3.2020 zum Nachhören (bis 28.3.2021):

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Zwei Vertreter der größten Weltreligionen haben in einem längeren Prozess dieses Dokument erarbeitet und dann feierlich unterzeichnet.

Sr. Maria-Andreas Weißbacher
ist Leiterin des Referats für interreligiösen Dialog der Diözese Klagenfurt

Distanzierung von einer bestimmten Religion

Mich erinnert dieses Dokument an die mutigsten Aussagen des 2. Vatikanischen Konzils. Es ist ein leidenschaftliches Bekenntnis zum wertschätzenden Dialog als Methode und Maßstab für alle weltweite Zusammenarbeit. Und eine solche wäre in unserer vernetzten, so sehr gefährdeten Welt notwendiger denn je.

Nach einer sehr ehrlichen Analyse der heutigen Welt mit großartigen Errungenschaften einerseits und erschreckendem Leid aus Ungerechtigkeit, Intoleranz und religiösem Extremismus andrerseits werden in einer sehr klaren Sprache die Werte und Aufgaben der Religionen benannt: Papst Franziskus und Scheich Ahmad bitten, laden ein, empfehlen aus einer Position des Dienens heraus. Denn neben einem glaubwürdigen Gottesdienst sehen sie im Dienst am Frieden, an der Gerechtigkeit, an einem respektvollen Miteinander der Menschheitsfamilie die gewichtigste Aufgabe der Religionen. Eindringlich warnen sie davor, Religion zu missbrauchen für Politik oder jede Form der Unterdrückung und Gewalt; den Namen Gottes zu benutzen, um Mord und Terrorismus zu rechtfertigen.

Die Vielfalt und Verschiedenheit der Menschen bezüglich Religion, Hautfarbe, Geschlecht, Ethnie und Sprache wird der Weisheit Gottes zugeschrieben. Darin sehe ich eine ungemein mutige Distanzierung von allen Versuchen, Völkern eine bestimmte Religion oder Kultur aufzuzwingen, wie es im Lauf der Geschichte so oft praktiziert wurde.

Gute Beziehung zwischen Osten und Westen

Besondere Bedeutung und Dringlichkeit wird einer guten Beziehung zwischen dem Osten und dem Westen zugeteilt. Beide könnten durch Austausch und Dialog enorme Bereicherung erfahren.

Zwischenruf
Sonntag, 29.3.2020, 6.55 Uhr, Ö1

Gewichtet wird das Recht der Frau und ihre Befreiung von allen historischen und sozialen Zwängen; betont wird der Schutz der Grundrechte von Kindern, die weltweit garantiert und geschützt werden müssten.

Es wäre nicht Papst Franziskus, wenn nicht auch auf den notwendigen Schutz der Rechte älterer Menschen, Beeinträchtigter, Schwacher und Unterdrückter hingewiesen würde. In gemeinsamer Zusammenarbeit wollen Papst und Scheich sich dafür einsetzen, dass die Grundsätze des Dokumentes weltweit verbreitet und umgesetzt werden.

Herausforderungen für Brüder und Schwestern

Nie zuvor haben zwei bedeutende Vertreter großer Weltreligionen eine gemeinsame programmatische Schrift verfasst. Es geht darum, eine Kultur der Menschenrechte, eine Kultur der Geschwisterlichkeit aller zu verwirklichen. Ich konnte nur einige dieser weitreichenden Ansätze herausgreifen und möchte Ihnen damit Lust machen, diese Schrift selbst eindringlich zu studieren. Sie ist großartig.

Papst und Scheich hoffen darauf, dass dieses Dokument ein Symbol sei für die Umarmung zwischen Ost und West, Nord und Süd sowie zwischen allen, die glauben, dass Gott uns erschaffen hat, damit wir uns kennen, unter uns zusammenarbeiten und als Brüder und Schwestern leben, die sich lieben. Das hoffen und suchen sie zu verwirklichen, um einen universalen Frieden zu erreichen, den alle Menschen in diesem Leben genießen können.

Vielleicht kann dieses Dokument jetzt schon hilfreich sein - die Herausforderungen durch das Coronavirus an die Gesellschaft sind enorm. Auf Dauer reichen politische Maßnahmen nicht aus, um Menschen zu einer wirksamen Veränderung ihres Lebensstils zu motivieren. Einander als Schwestern und Brüder annehmen und entsprechend handeln – diesen Beitrag können und wollen die Religionen leisten.