Was mich in der Krise trägt

Leere Öffis fahren durch leere Straßen. Menschen mit Masken in den Supermärkten. Vor Apotheken und Postämtern stehen Menschen im Abstand von einem Meter Schlange, weil man immer nur einzeln hinein darf.

Selbstisolation und Home-Office. Wenn ich hinausgehe, um Luft zu schnappen, kritische Blicke der Entgegenkommenden, manchmal auch aggressives Murmeln: Darf sie überhaupt hier gehen, hält sie sich wohl an alle Regeln? Ich fühle mich wie im falschen Film.

Maria Katharina Moser
ist Direktorin der Diakonie Österreich

Wir alle sind im falschen Film, denke ich mir. In einem Film mit dem Titel „Corona-Krise – Flatten the curve“. In einem Film, in dem wir einem Drehbuch folgen, das uns ganz und gar nicht gefällt, in dem wir eine Rolle spielen müssen, die wir uns nicht ausgesucht haben. Und: Wir sind nicht nur im falschen Film. Jeder ist in seinem eigenen Film.

Was trägt mich in dieser Krise? Dreierlei.

Erstens: gegenseitiges Verständnis. Jede ist derzeit in ihrem eigenen Film. Das beginnt damit, dass viele zu strikter Isolation gezwungen sind, weil sie zu einer sogenannten Risikogruppe gehören – während andere raus müssen, weil sie „systemrelevant“ sind, wie das jetzt heißt. Die einen sind zum Nichtstun und zur Entschleunigung verurteilt, weil sie ihre Arbeit verloren haben oder in Kurzarbeit geschickt wurden – während andere umso mehr arbeiten müssen, in Supermärkten, als Lieferanten, in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen, bei vielen Medien, in Wohngemeinschaften für Kinder und Jugendliche und Menschen mit Behinderung.

Lebenskunst
Ostermontag, 13.4.2020, 7.05 Uhr, Ö1

Ich selber gehöre als Diakonie-Direktorin zu jenen, die viel zu tun haben in der Corona-Krise, arbeite aber weitgehend im Home-Office und kommuniziere über Videokonferenz, Telefon und Email. Oft fühle ich mich abgeschnitten. Ich arbeite für mich und weiß nicht, was andere in meinem Team gerade tun, wie es ihnen geht, was sie beschäftigt. Und das gehört, wie ich meine, zu den Dingen, die das Leben und die Arbeit gerade so schwierig machen für viele, auch für mich. Durch die Distanz bekommen wir zu wenig mit voneinander: verstehen einerseits das Verhalten eines anderen nicht oder verstehen Reaktionen miss, weil wir nicht wissen, in welchem Film der andere gerade ist – und fühlen uns andererseits selbst nicht adäquat wahrgenommen und behandelt.

Im Krisenmodus

Wir haben das in unserem Team der Diakonie Österreich reflektiert und pflegen eine Tradition, die ich persönlich hilfreich und stärkend finde: Wir beginnen jede Videokonferenz mit einer „Was mich bewegt“-Runde. Da hat alles Platz. Sorgen jeglicher Art. Wenn es zu Hause mit den Kindern gerade schwierig ist. Wie es den Eltern geht. Das Entsetzen beim Blick auf menschenunwürdige Bedingungen für Flüchtlinge in den Lagern auf den griechischen Inseln. Wie sich Regeln anfühlen. IT-Probleme. Negative, aber auch positive Erfahrungen mit den neuen krisenbedingten Kommunikationswegen im Team. Und natürlich auch Erfolge in der täglichen Arbeit. Reden hilft. Sich mitteilen erleichtert. Gehört werden stärkt.

In einer solchen „Was-mich-bewegt-Runde“ meinte eine Kollegin: Wir arbeiten die ganze Zeit im Krisenmodus. Wir lassen wichtige langfristige Projekte liegen. Wir reagieren nur. Wann werden wir wieder zur Normalität finden, wann werden wir wieder aktiv Schritte setzen?

Auf Tod folgt Auferstehung

Ich denke, meine Kollegin hat gleichzeitig recht und unrecht: Ja, Corona schreibt das Drehbuch. Vieles, was wir tun, ist bestimmt von der Krise und den Herausforderungen, die sie bringt und auf die zu reagieren wir gezwungen sind. Aber wir reagieren. Wir setzen Schritte, um mit der Krise bestmöglich zurecht zu kommen. Wir gestalten die Krise. Ja, die Krise gibt das Thema für den Film vor – und wir schreiben mit am Drehbuch. Mir persönlich hilft diese Perspektive, um mich nicht gänzlich ohnmächtig und getrieben zu fühlen. Ich möchte sie „Perspektive der Hoffnung“ nennen. Und Hoffnung heißt nicht, alles wird gut. Hoffnung heißt, die Zukunft nicht der Verzweiflung zu überlassen.

Die Perspektive der Hoffnung, das ist auch die Perspektive von Ostern. Ostern heißt nicht, alles ist gut. Ostern heißt hinschauen auf Leiden, Sterben, Tod. Aber der Tod hat nicht das letzte Wort.

„…gekreuzigt, gestorben und begraben, hinabgestiegen in das Reich des Todes, am dritten Tage auferstanden von den Toten“, heißt es im christlichen Glaubensbekenntnis. Ich habe es in den Ostergottesdiensten, die ich heuer über Fernsehen und Radio im ORF gefeiert habe, mitgesprochen. Und ich habe die Hoffnung, die in diesem Bekenntnis steckt, heuer besonders stärkend empfunden: „hinabgestiegen in das Reich des Todes, am dritten Tage auferstanden von den Toten“. Auf den Tod folgt die Auferstehung, auf den Karfreitag folgt der Ostersonntag. Nicht sofort, nicht unmittelbar, aber immer. Unumkehrbar.