Bibelessay zu Johannes 20,19-31

Wort und Botschaft des Evangeliums kommen von weit her, vieles ist Menschen von heute nicht mehr zugänglich. Und manches ist in diesen Tagen der Pandemie undenkbar, ja sogar strafbar.

Etwa wenn in diesem Evangelium erzählt wird, dass Jesus die Jünger anhaucht. Tröpfcheninfektion war damals kein Thema. Übrigens waren sicher auch Jüngerinnen unter den Angehauchten. Dazu sagt Jesus: Empfangt heiligen Geist – im griechischen Original steht kein bestimmter Artikel, den haben die Übersetzer eingefügt.

Franz Josef Weißenböck
ist katholischer Theologe und Autor

Ein Hauch von Freiheit

Ich verstehe diese Übersetzung auch als Versuch, etwas in den Griff zu bekommen, was an sich sehr schwer zu fassen ist wie der Geist. Hebräisch heißt Geist ruach und ist weiblich, also „die Geistin“, griechisch pneuma, lateinisch spiritus. Hausfrauen und -männer wissen, wie flüchtig Spiritus ist. Mit der Beifügung des bestimmten Artikels wird er sozusagen festgelegt, zur dritten göttlichen Person gemacht. Aber der Geist ist wie der Wind. Er weht, wo er will. In diesem Geist bekennt Thomas Jesus als seinen Herrn und Gott.

Dazu drei Gedanken. Erstens: Anhauchen – im griechischen Urtext steht da das Wort enephysesen, und das ist genau das Wort, das auch im Buch Genesis, in der so genannten Schöpfungsgeschichte, steht. Dort haucht Gott dem Menschen Leben ein. Er verleiht ihm so Geist und Leben, macht ihn damit zum Menschen. Der auferstandene Jesus haucht seinen Jüngern neues Leben ein. Er schenkt ihnen neuen Geist.

Herrschender Ungeist

Ein Zweites: Zum Ritus der Taufe gehörte einmal, dass der Priester den Täufling anhauchte. Das Anhauchen war noch in der Zeit des Augustinus im 4. und 5. Jahrhundert auch eine Geste zur Vertreibung der Dämonen. Die bösen Geister sollten dem Geist Gottes, dem Heiligen Geist, Platz machen.

Lebenskunst
Sonntag, 19.4.2020, 7.05 Uhr, Ö1

Dämonen und böse Geister sind den Vorstellungen der meisten Menschen heute fremd. Früher sprach man von „Abergeistern“. Aber ich frage mich, ob nicht unsere aufgeklärte Zeit von manchem Ungeist geprägt und beherrscht wird. Das betrifft nicht nur Politik und Wirtschaft, sondern alle Bereiche des Lebens. Auch Kirchen und Religionsgemeinschaften sind vor Ungeist nicht gefeit. Zu kurz greift, wer dabei nur an die Missbrauchskrise denkt. Ich behaupte: Alles, was Menschen beherrscht und ihrer Freiheit beraubt, ist Ungeist.

Heilsamer Geist

Schließlich drittens: Das Johannesevangelium wurde gegen Ende des ersten Jahrhunderts verfasst. Von 81 bis 96 herrschte in Rom Kaiser Domitian. Der römische Geschichtsschreiber Sueton berichtet, Domitian habe sich als „Herr und Gott“ anreden lassen. Die meisten Bibelwissenschaftler bezweifeln, dass das Bekenntnis des Thomas im Evangelium damit zusammenhängt. Das ist auch nicht von Bedeutung. Wichtig ist, dass Christen allein Gott und Jesus als ihren Herrn und Gott erkennen und anerkennen. Genau das begründet die Freiheit der Christinnen und Christen von jeder Herrschaft. Das gilt in einem doppelten Sinn: Christen sind keinem Herrscher untertan, sie be-herrschen aber auch andere nicht. Wer aus diesem Geist lebt, bewahrt sich seine Freiheit von jedem Ungeist – auch die Freiheit gegenüber dem sogenannten Zeitgeist.

Apropos Zeitgeist! In Goethes Faust lese ich diesen Satz: „Was ihr den Geist der Zeiten heißt, Das ist im Grund der Herren eigner Geist.

Der Geist hingegen, den der Gott der Bibel dem Menschen, und den Jesus seinen Jüngerinnen und Jüngern einbläst, ist heiliger und damit auch heilsamer Geist. Auf jeden Fall, wie ich meine: ein Geist, der befreit.