Gewinnorientierte Verwaltung der Welt

Wenn nicht mehr die Kirchen Gesellschaft und Lebensführung beherrschen, wer dann?

Gedanken für den Tag 28.4.2020 zum Nachhören (bis 27.4.2021):

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Viel spricht dafür, dass es der kulturell dominant gewordene Kapitalismus ist. Er ist seit längerem viel mehr als nur eine teils höchst erfolgreiche, teils höchst ungerechte Weise, die Wirtschaft zu organisieren.

Klassisch kapitalistische Prinzipien, wie Kosten-Nutzenkalküle, das Zur-Ware-Werden von immer mehr in immer mehr Lebensbereichen oder die marktorientierte Selbstoptimierung, wandern vom ökonomischen Sektor in die allgemeine Lebensführung und in die Kultur. Es herrscht jene „gewinnorientierte Verwaltung der Welt“, von der ein französischer Philosoph gesprochen hat.

Verwaltung ist die Organisation

Die vom Kapitalismus produzierte Dynamik, Buntheit und Vielfalt scheint den üblichen Vorstellungen von grauer Verwaltung zu widersprechen. Und doch ist diese bunte Außenseite doch genau dies: die Außenseite eines Innen, eines rasenden Stillstandes, das auf keinen Fall sein zentrales Ziel, die Gewinnorientierung, verfehlen darf.

Rainer Bucher
ist katholischer Theologe an der Karl-Franzens-Universität in Graz

Das zentrale Konzept des Kapitalismus ist die individuelle Gewinnorientierung, also die Frage: Was nutzt es mir? Diese Frage durchdringt alles und alle, vor ihr müssen sich alle und alles rechtfertigen, auch die Religionen. Es ist die Gretchen-Frage des neuen Herrschers.

Verwaltung ist die Organisation des Bestehenden und sie zeichnet sich dadurch aus, nicht über sich hinausdenken zu dürfen und zu können. Kapitalismus ist die gewinnorientierte Verwaltung des Bestehenden, die verschleiert, wie statusfixiert sie ist, und die im bunten Leerlauf des letztlich immer Gleichen doch auch nur selbstbezügliche Verwaltung ist.

Wahrscheinlich ist der spätmoderne Kapitalismus jene Form der Fantasielosigkeit, die es geschafft hat, diese perfekt zu verschleiern. Dass die im Kapitalismus in Gang gesetzten kulturellen und technologischen Entwicklungen hinter dem Rücken der Akteure seit einiger Zeit eine Eigendynamik produzieren, die vor ihnen als unvorhergesehene und bedrohliche Ereignisse wieder auftauchen, das ist dann eine ganz andere Frage. Manchmal kommen Verwaltungen eben auch nicht mehr zurecht.

Musik:

„Venus de Milo“ von Gerry Mulligan, bearbeitet von Bill Holman
Label: Pacific Jazz / Capitol 8335742