Versprechen des Kapitalismus

Klassisch kapitalistische Prinzipien wie Wettbewerb, Verdinglichung, Quantifizierung, Monetarisierung, Optimierung: All dies schreibt sich tief in Schichten der Person ein, Schichten, die man so gerne davor geschützt gesehen hätte, die es aber nicht sind, weil es kein unkorrumpierbares Selbst ganz tief im eigenen Inneren gibt.

Gedanken für den Tag 29.4.2020 zum Nachhören (bis 28.4.2021):

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Das berühmte Verdampfen „alles Ständische(n) und Stehende(n)“, wie es im Kommunistischen Manifest heißt, diese ungeheuer erfolgreichen kapitalistischen Dynamisierungsprozesse, die ja auch Befreiungsprozesse aus den vorgegebenen Schalen des Geschlechts, der Nation, der Religion, und der Geburtsfamilie sind, all diese großen Versprechen von Freiheit, Effektivität und Dynamik, die der Kapitalismus gibt, sie haben sich durchgesetzt.

Rainer Bucher
ist katholischer Theologe an der Karl-Franzens-Universität in Graz

Eine mächtige Realität

Der kulturell hegemoniale Kapitalismus ist souverän, nicht zuerst, weil er sich, wie der Staat, des äußeren Machtapparates bemächtigt, sondern weil er sich der Menschen auf einer viel wirksameren Ebene nähert, jener, die sie zu dem macht, was sie sind: Er bemächtigt sich ihrer Sehnsüchte und Hoffnungen, ihrer Ängste und Nöte. Er formt bereits Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Menschen von heute und dann befriedigt er sie, er gibt all dem Sprache, Bilder und – Erfüllung: nicht unbedingt umfassend und endgültig, wie es die Religionen versprechen, dafür aber konkret und fassbar. Wenn man es sich leisten kann.

Der Kapitalismus ersetzt nicht die alten religiösen Angsterzeuger und Angstbewältiger, Sehnsuchtsproduzenten und Sehnsuchtserfüller, aber er drängt sie ins zweite Glied. Oder noch weiter zurück. Der kulturell hegemoniale Kapitalismus ist eine mächtige Realität und es gibt kein leicht verfügbares Außen, über das man ihm entkommen könnte. Aber er ist weder göttlich noch unüberwindbar oder gar ewig. Wahrscheinlich wird er sogar an seinen inneren Widersprüchen scheitern.

Musik:

„Petite fleur“ von Sidney Bechet
Label: RCA 1214492