Bibelessay zu Johannes 21,1–14

Es sind Zeiten wie diese, in denen die christliche Botschaft von der Auferstehung des Jesus aus Nazareth bei mir einen seltsamen Geschmack hinterlässt.

Im Moment versuchen wir als Gesellschaft mit einschneidenden Maßnahmen das Leben von Menschen zu schützen. Wir machen den ganzen „Corona-Quatsch“, wie meine Tochter ihn nennt und von dem sie versteht, dass er sein muss, und gleichzeitig hofft, dass er bald vorbei ist.

Mirja Kutzer
ist katholische Theologin an der Universität Kassel

Das Leben läuft nicht ins Nichts

Es sind Zeiten wie diese, in denen die christliche Botschaft von der Auferstehung des Jesus aus Nazareth bei mir einen seltsamen Geschmack hinterlässt. Im Moment versuchen wir als Gesellschaft mit einschneidenden Maßnahmen das Leben von Menschen zu schützen. Wir machen den ganzen „Corona-Quatsch“, wie meine Tochter ihn nennt und von dem sie versteht, dass er sein muss, und gleichzeitig hofft, dass er bald vorbei ist.

Wir erfahren freilich – es gelingt nicht immer. Wo wir nicht schützen können, wo Menschen sterben, da steht für Christinnen und Christen die Botschaft von Ostern. Jesus ist nicht im Tod geblieben. Deshalb dürfen auch wir hoffen, dass unser Leben mit dem Tod nicht zu Ende ist. Dass Menschen, die wir lieben und die von uns gehen, bei Gott aufgehoben sind. Man könnte es auch allgemeiner, weniger religiös formulieren: Ihr Leben läuft nicht ins Nichts, sondern hat eine Bedeutung, die wir selbst nicht verbürgen können. Aber von der viele Menschen hoffen, dass es sie gibt.

Zentrale Hoffnung des Christentums

Doch scheint diese Botschaft von der Auferstehung gleichzeitig so fern von jeglichem Leben. Ein Trost, der erst in und nach dem Tod ansetzt, hat so wenig zu tun mit so vielen Sorgen und Nöten von Menschen. Was wäre denn die Botschaft von Ostern für diejenigen, die jetzt ihren Job verlieren? Deren Existenz bedroht ist? Die überfordert sind von den Anforderungen der Situation? Oder häusliche Gewalt erfahren? Die Hoffnung auf ein Leben nach dem Tod – dies klingt – für mich – nach Vertröstung, die in den Lebenssorgen wenig Bedeutung hat. Die zentrale Hoffnung des Christentums – sie ginge dann über das konkrete Leben von Menschen einfach hinweg.

Lebenskunst
Sonntag, 26.4.2020, 7.05 Uhr, Ö1

Die Erzählung von der Erscheinung des Auferstandenen am See von Tiberias vermittelt hier einen anderen Blick. Sie ist im Johannesevangelium ein eigentümlicher Nachklapp. Schon zuvor wurde mehrfach berichtet, dass Jesus den Jüngerinnen und Jüngern als Auferstandener erschienen ist – Maria von Magdala draußen vor dem Grab, den versammelten Jüngerinnen und Jüngern in einem unbestimmten „drinnen“, hinter verschlossenen Türen.

Zurück im Alltag

Nach diesen Erscheinungen folgt ein grandioser Schlusssatz, der nicht nur die wundersamen Erscheinungsberichte, sondern auch das Evangelium als Ganzes gut beendet hätte. Dort steht: Dies alles sei aufgeschrieben worden, damit die Leserinnen und Leser zu der Einsicht kommen, dass Jesus von Nazareth der Sohn Gottes ist und dadurch Leben erhalten. Und doch setzt der Text noch einmal ein mit einem weiteren Erscheinungsbericht, der das bisher Erzählte anreichert und um weitere Perspektiven erweitert.

Anders als in der Zeit unmittelbar nach dem Tod Jesu werden wieder konkrete Zeit und Ortsangaben gemacht: Das Kapitel spielt im Laufe einer Nacht und eines Morgens am See Tiberias. Dieser See ist den Leserinnen und Lesern nicht unbekannt. Es ist der Ort, an dem Jesus gemäß dem Johannesevangelium mit zwei Fischen und fünf Broten wundersam fünftausend Menschen gespeist hatte. Eben dort war er auch über das Wasser gegangen. Nun fischen dort Petrus und die Zebedäussöhne zusammen mit ein paar anderen. Sie haben sich nicht mehr hinter verschlossenen Türen verrammelt, sondern sind in den Alltag zurückgekehrt. Sie gehen ihrem Beruf nach.

Fülle nach der Leere

Freilich gelingt den Männern nicht viel. Trotz einer ganzen Nacht harter Arbeit auf dem See haben sie keine Fische im Netz. Am Ufer steht Jesus – so sagt es der Text, und die Leserinnen und Leser wissen damit von vornherein, mit wem sie es zu tun haben. Die Fischer auf dem Boot erkennen ihn seltsamerweise nicht. Dabei haben sie ihn ja vorher schon gesehen, „drinnen“, als er ihnen noch in der Schockstarre nach der Kreuzigung hinter verschlossenen Türen begegnet war. Den Auferstandenen im Alltag wahrzunehmen – es ist offenbar nicht so einfach. Jesus weist sie an, das Netz in der Nähe des Ufers auf der rechten Seite hinunterzuwerfen. Und es ist voller Fische. Jetzt, als sich nach der Leere die Fülle, mitten im Leben der Überfluss einstellt, erkennen sie den Auferstandenen.

Der Philosoph Martin Heidegger hat das Leben des Menschen als ein „Sein zum Tode“ beschrieben. Dies heißt, kurz gesagt, dass der Tod eben nicht erst am Ende des Lebens steht. Sondern dass die Sterblichkeit, das Wissen um den Tod die gesamte Existenz des Menschen umgreift. Mit der Auferstehung, so könnte man von Johannes 21 lernen, ist es genauso. Auferstehung ereignet sich nicht, oder wenigstens nicht allein am Ende des Lebens. Sie ist dort, wo Menschen Fülle erfahren, wo sich unerwartete Möglichkeiten einstellen. Wo wir Liebe und Genuss spüren. Menschen nach langer Zeit wieder umarmen können. Oder einfach auch nur das haben, was wir zum Leben brauchen. Unser Leben ist nicht lebbar ohne die kleinen und großen Auferstehungen, die jeder Einzelne erfährt. Und noch weniger ohne die Hoffnung darauf, dass diese möglich sind.