Madonna mit dem Granatapfel

Zum 510. Todestag von Sandro Botticelli: Keine Ecken und Kanten! Alles ist weich und fließend! Allein schon die Form des Gemäldes sticht ins Auge, denn sie ist kreisrund. Der aufwendig gestaltete Rahmen zeigt goldene Lilien auf blauem Grund. Im Zentrum des Werkes mit einem Durchmesser von beinahe eineinhalb Metern thront in Lebensgröße eine jugendliche Madonna.

Gedanken für den Tag 20.5.2020 zum Nachhören (bis 19.5.2021):

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Der Blick der goldblond gelockten Gottesmutter ist melancholisch ins Leere gerichtet. Sie präsentiert den Betrachtenden ihr Kind. Dieses greift lässig nach einem äußerst sinnlich wirkenden geöffneten Granatapfel, das andere Händchen hat es zum Segensgestus erhoben. Hinter Madonna und Kind stehen wie eine Art Schutzschild - vor einer Rosengirlande - sechs Engel aufgereiht.

Sinnliche Berührungen

Das Gemälde „Madonna mit dem Granatapfel“ aus den 1480er-Jahren zählt zu den schönsten Marienbildnissen im Rundformat, die der Frührenaissance-Meister Botticelli hinterlassen hat. Herausragend sind der erhaltene Originalrahmen und die hohe malerische Qualität des Bildes. Auch die Tatsache, dass dieses Bild nicht für den privaten Bereich, sondern für einen öffentlichen Ort in Florenz gedacht war, lässt es aus der Menge der „Marien im Rund“ hervorstechen. Denn Botticelli gelangte bereits zu Lebzeiten vor allem aufgrund seiner über 30 Marien-Tondi, wie diese Bilder auch genannt werden, zu Ruhm.

Johanna Schwanberg
ist Direktorin des Dom Museum Wien

Mich fasziniert die „Madonna della Melagrana“, weil hier Leben und Tod, Sinnlichkeit und Schmerz, Freude und Trauer als untrennbar miteinander verbunden gezeigt werden. Der Granatapfel galt bereits in der Antike als Symbol der Liebe, Fruchtbarkeit und Unsterblichkeit. Im Christentum symbolisiert er Passion und Erlösung  und wurde vor allem auf Maria und die Kirche bezogen.

Die stille Bewegtheit, die von diesem Gemälde ausgeht, überzeugt mich. Es sind keine großen Gefühlsbekundungen, sondern zarte, tastende Gesten, die hier Nähe und Zusammenhalt zum Ausdruck bringen. So legt ein Engel die Finger auf die Schultern seines Nachbarn, ein anderer fasst nach den Rosenblüten links, und der Jesusknabe berührt scheinbar beiläufig den Daumen seiner Mutter, während er nach der Frucht greift.

Es sind sinnliche Berührungen, die entscheidend zum Leben gehören – und mir jetzt vielleicht gerade deshalb so auffallen, weil sie in Zeiten der Corona-Pandemie und des Physical Distancing zu etwas besonders Kostbarem geworden sind.

Musik:

Emily Van Evera/Sopran, Nancy Hadden/Flöte, Erin Headley/Viola da gamba, Lirone, Christopher Wilson/Laute, Gitarre und Robert Meunier/Laute: Saltarello „Baxela un tratto"
Label: Chandos 8333