Bibelessay zu Johannes 15,26-16,3.12-15

Pfingsten ist das Fest des Geistes. Sein Ursprung liegt im jüdischen Wochenfest, dem Schawuot, das sieben Wochen - 50 Tage - nach Pessach gefeiert wird. In der Bibel war es das Fest der Weizenernte, verbunden mit einer Pilgerfahrt an den Jerusalemer Tempel.

Später deutete man das Fest auf die Gabe der göttlichen Weisung, der Tora, am Berg Sinai. Über die 10 Gebote hinaus hat nach jüdischer Überlieferung Mose in dieser Zeit eine Fülle von mündlichen Geboten und Verboten von Gott vermittelt bekommen. Sie sind die bleibende Verpflichtung des Judentums Gott gegenüber, sie symbolisieren das Leben, das aus der Gottesnähe erwächst, sind ein Beistand auch dort, wo Gott selbst nicht spürbar oder fern erscheint. Ganz ähnlich verhält es sich mit dem Geist, von dem das Pfingstereignis spricht. Das Johannesevangelium betont nicht nur das Wunder der Gabe dieses göttlichen Geistes während der Versammlung der Gemeinde in Jerusalem, nein, es beschwört geradezu die Gegenwart des Geistes in schwierigen Zeiten.

Gerhard Langer
ist katholischer Theologe und Judaist

Unterscheidung der Geister

In der jüdischen Tradition gibt es eine alte Erzählung, wonach Gott einem König vergleichbar ist, der lange Zeit seine Frau allein lässt und weit weg geht. Täglich nimmt sie die Heiratsurkunde mit allen darin festgelegten Zusicherungen zur Hand. Die Frau ist die Gemeinde Israel, die täglich die Tora studiert und sich dabei der Nähe Gottes vergewissert, vielleicht auch etwas von seinem Geist erfährt. Für Christinnen und Christen ist es der göttliche Geist, der die Gemeinde leitet und ihr Zuversicht gibt.

Dieser Heilige Geist soll Christus in sich tragen, seine Botschaft wahr vermitteln. Leider hat man bei der Auslegung der Stelle viel zu wenig darauf geachtet, dass zwischen der jüdischen und christlichen Auslegung von Pfingsten durchaus eine Parallele besteht, nämlich im Geschenk der Zuversicht und Hoffnung auch in schweren Zeiten. Vielmehr hat man sich auf die Aussage konzentriert, wonach die Anhänger Jesu aus der Versammlung bzw. der Synagoge der Juden ausgeschlossen würden.

Lebenskunst
Pfingstmontag, 1.6.2020, 7.05 Uhr, Ö1

Kritische Anfrage an die Christenheit

Die Trennung von Judentum und Christentum, die der Verfasser des Johannesevangeliums so engagiert und mit Nachdruck beschreibt, ist sicher langsamer und weit weniger radikal erfolgt. Christenverfolgung ging kaum von Juden aus. Aber das Johannesevangelium reflektiert eine andere Unterscheidung, die sich später vertiefen wird. Es betont die radikale Kluft zwischen dem Richtigen und Falschen, zwischen dem Geist der Wahrheit und dem Geist der Lüge, zwischen den Mächten des Bösen und dem Guten, das ausschließlich über Christus zu haben ist.

In dieser Radikalität lässt Johannes keine anderen Heilswege zu und verurteilt alle jene, die Jesus nicht anerkennen können und wollen. Heute sind viele Menschen vorsichtig geworden, wenn es darum geht, vorzuschreiben, was wahr ist und was gänzlich falsch. Und der Geist, den Johannes beschwört, war und ist auch in den kirchlichen Gemeinschaften nicht immer spürbar als ein Geist, durch den die befreiende und rettende Botschaft Gottes zu den Menschen dringt. Vielleicht ist das Evangelium daher auch eine kritische Anfrage an die Christenheit, sehr genau zu beobachten, welcher Geist weht und welchen Ungeist man meiden sollte.