„Laut und Luise“

Zum 20. Todestag von Ernst Jandl: „Laut und Luise“ heißt der Gedichtband, mit dem Ernst Jandl berühmt geworden ist. Der Titel ist eine Variation des hinlänglich bekannten Gegensatzes „laut und leise“, aber auch ein sprachliches Denkmal für seine Mutter Luise, die Ernst Jandl mit 14 Jahren verloren hat.

Gedanken für den Tag 4.6.2020 zum Nachhören (bis 3.6.2021):

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Sie hat ihn in einem rigiden Katholizismus erzogen. Während Jandl das Wort „ich“ in seinen Texten zunächst vermied, hat in seinen letzten Lebensjahrzehnten die eigene Biografie zunehmend Eingang in seine Texte gefunden. Besonders überraschend war, dass der alte Spötter Jandl plötzlich auch Texte mit einem gebrochenen, aber doch positiven Bezug zum Katholizismus seiner Kindheit schrieb. Wie sich dieser Katholizismus in bestimmten Gedichten widerspiegelt, darüber wollte ich mit ihm sprechen. Am 29. Jänner 1998 um 16.30 Uhr – mein Terminkalender hat es festgehalten – hat mich Ernst Jandl in seiner Wohnung empfangen.

Cornelius Hell
ist Literaturkritiker und Übersetzer

Gebete der Kindheit

Zu Beginn haben wir über einen dreizeiligen Aphorismus aus dem Band „peter und die kuh“ gesprochen: „längst schon versuche ich / die gängigsten gebete / zu rekonstruieren.“ Ernst Jandl hat erzählt, dass er sich als alter Mann wieder jenen Gebeten näherte, die er in seiner Kindheit auswendig gekonnt hatte: dem „Vater unser“, dem „Ave Maria“ und dem Bekenntnis „Ich glaube an Gott, den allmächtigen Vater“. Ernst Jandl kommentierte das so: „Wenn ich sage, als alter Mann beginne ich, mich diesen Texten wieder zu nähern, so zeigt das wohl eine Tendenz in mir, einen Anschluss an eine Zeit zu finden, in der ich als Kind auf naive Weise in meiner Religion gelebt habe, die noch immer die meine ist, die christliche Religion, die katholische Religion.“

Ernst Jandl sind die Gebete seiner Kindheit nach Jahrzehnten der Distanz zunehmend wichtig geworden, und das führte zu vielen Berührungspunkten von Gedicht und Gebet. Die Mischung aus Sehnsucht und Distanz, Identifikation und Ironie, die darin zum Ausdruck kommt, fasziniert mich immer wieder. Besonders mag ich die Schlussstrophe des gereimten Gedichts „an die freunde“. Sie lautet:

vom himmel hoch da komm ich her
ist eine längst verklungene mär
doch zuweilen ist hoffnungsvoll mein herz
freunde, teilt meine freude, verzeiht meinen schmerz

Musik:

Stan Getz/Saxophon, Dizzy Gillespie/Trompete, Oscar Peterson/Piano, Herb Ellis/Gitarre, Ray Brown/Bass und Max Roach/Drums: „It’s the talk of the town“ von Jerry Livingston, Marty Symes und Al J. Neiburg
Label: Verve 5218522