Hildegard Burjan: Gemeinschaft

Gemeinschaft – was assoziieren Sie mit Gemeinschaft? Vielleicht denken Sie an die wieder möglichen Treffen einer Runde von Freunden im Gasthaus, an die Menschen ihrer Familie, mit denen Sie sich nicht wie gewohnt treffen konnten oder mit denen Sie über eine längere Zeit sehr eng zusammen waren?

Zwischenruf 14.6.2020 zum Nachhören (bis 13.6.2021):

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Vor zwei Tagen, am 12. Juni war der Gedenktag Hildegard Burjans. Sozialpionierin, Kämpferin für Frauenrechte, eine der ersten Frauen im österreichischen Parlament und sie ist eine Expertin für genau dieses Thema: Sie hat eine Gemeinschaft von Frauen in der Kirche gegründet – die Caritas Socialis. Dabei war ihr Anliegen, dass durch diese Gründung möglichst viele Menschen anstelle von Ausgrenzung neue Gemeinschaft in unserer Gesellschaft erfahren.

Sr. Karin Weiler CS
ist Mitglied der Schwesterngemeinschaft Caritas Socialis

Ein Auftrag, Gemeinschaft zu stiften

„Ihr Verständnis von Gemeinschaft drückt sie einmal so aus: „Das allerintimste Zusammensein wird keine Gemeinschaft schaffen, wenn nicht die Innere vorhanden ist.“ (Hildegard Burjan)

Ein paar Erfahrungen der letzten Wochen kann ich hier einordnen. So habe ich recht intensive und unverhoffte Gemeinschaft über große physische Distanz erlebt, als mir eine Freundin während des Streamens desselben Gottesdienstes per WhatsApp die Botschaft „Friede sei mit dir“ zugeschickt hat. Ich habe von einem Großvater gehört, der für seine Enkel per Skype ein Kasperlstück aufgeführt hat. Ich war beeindruckt von der Kreativität der Pflegenden in unseren Häusern, die in Zeiten intensiver Besuchsbeschränkungen Nähe geschenkt haben und kreativ Begegnungsmöglichkeiten für Bewohner/innen und Angehörige ermöglicht haben. Viel Kreativität und Gemeinschaft auch über die schmerzliche Distanz hinweg hab ich erlebt.

Gemeinschaft ist also auch unabhängig von physischer Nähe möglich. Hildegard Burjan spricht von etwas Innerem und gleichzeitig sagt sie: „Gemeinschaft ist in uns, aber auch aus uns müssen wir sie schaffen.“ Da wird das innere Wissen „wir sind aufeinander angewiesen“ zu einem Auftrag, Gemeinschaft zu stiften über die eigene abgegrenzte Gruppe, Familie, Partei, den Staat hinaus.

Eine größere Gemeinschaft

Hildegard Burjan fühlte sich „zeitlebens verantwortlich für das viele Traurige, das in der Welt geschieht.“ In diesem Sinne hinterfragt sie die oft zu engen Bilder von Gemeinschaft. Da haben die vergangenen Wochen auf einige Lücken hingewiesen, die es sicher schon vor Corona gab.

Zwischenruf
Sonntag, 14.6.2020, 6.55 Uhr, Ö1

Ob der Einsatz für die Gemeinschaft an den Staatsgrenzen endet? (Wenn ich nur an die an den Grenzen gestoppten Lieferungen von Schutzausrüstungen zurückdenke.) Viele haben die europäische Gemeinschaft in der Krisenbewältigung vermisst. Und endet die Verantwortung für das gute Leben aller dort, wo Menschen auf der Flucht an den europäischen Grenzen gestrandet sind? Können wir unsere Verantwortung für die weltweite Klimakrise durch die Pandemie vielleicht noch stärker spüren und entschiedener wahrnehmen?

Hildegard Burjan spricht von Verantwortung für das viele Traurige, das geschieht. Dabei gilt es, auf die zu schauen, die sich gerade aufgrund der Maßnahmen zur Eingrenzung der Infektionsgefahr allein gelassen, abgehängt, ausgegrenzt fühlen. Dieses Verständnis von einer größeren Gemeinschaft, an der alle mitbauen können, ist Distanzen überwindend. Mit den Worten Hildegard Burjans: Sozial arbeiten heißt auch vorbeugen, heißt Kluften, die innerhalb der Gesellschaft entstehen, überbrücken."