Was mich in der Krise trägt – „hoffentlich“

Die Hoffnung ist ein kostbares Gut; wir müssen sie hüten wie eine empfindliche Pflanze. Wir müssen sie pflegen und gießen. Sie braucht Licht.

Ich sehe das so: Wenn wir miteinander reden und uns gegenseitig Mut machen, dann pflegen wir die Pflanze der Hoffnung. Ein gutes Gespräch ist wie ein Garten, der Gedanken zum Blühen bringt. Im Miteinanderreden bewässern wir den Garten der Hoffnung.

Clemens Sedmak
ist Philosoph, Theologe und Sozialethiker

Gespräche geben Hoffnung

In der Corona-Krise habe ich, wie viele andere auch, das Bedürfnis nach guten Gesprächen und blühender Hoffnung gehabt. Ich habe viele Gespräche geführt. Und sie dann zu einem Buch zusammengetragen. Ein Gespräch mit einer Philosophin, ein Gespräch mit einem Historiker, ein Gespräch mit einem Geschichtenerzähler, ein Gespräch mit einem Mann in Quarantäne, ein Gespräch mit einer Mystikerin, ein Gespräch mit einem Wortschöpfer. Natürlich sind die Gespräche in diesem kleinen Buch so nie geführt worden. Aber sie enthalten doch Gedanken von Gesprächen, die mich begleitet haben.

Gespräche schenken Gedanken, Einsichten – und eine Sprache, um das Neue zu benennen. Die Krise war und ist ja wirklich etwas unerhört Neues. Unerhört und neu. Wie eine Mauer oder auch: wie ein neues Tor. Der Ochs vor dem neuen Tor bleibt einmal stehen, so heißt es doch immer. Mir erging es nicht anders. Ich habe Anfang des Jahres zur Kenntnis genommen, dass es in einer chinesischen Stadt ein gefährliches Virus gibt, das sich rasch ausbreitet. Ich habe diese Nachricht so verarbeitet, wie wir das, was wir weit weg wähnen, einordnen – zur harmlosen Abstraktheit eines Informationsfutzelchens verkommen, wo es sich nicht einmal auszahlt, Betroffenheit zu heucheln. Ich hatte auch keine Bilder, schon gar keine Erfahrungen, nur ein paar Sätze über ein Virus in Wuhan.

Lebenskunst
Sonntag, 5.7.2020, 7.05 Uhr, Ö1

Ein Schlag nach dem anderen

Ende Februar bin ich von Chicago nach Wien geflogen, da waren die ersten Schlagzeilen über Italien zu lesen; kein Unterschied im Alltagserleben, die Unbeschwertheit noch tragend. Ich habe noch eine Veranstaltung in einem Klinikum gehabt, wo mir einige Ärztinnen und Ärzte, sozusagen ganz inoffiziell, erklärt haben, dass ihnen bestimmte Berichte und Maßnahmen übertrieben erscheinen. Auf dem Rückflug über Wien am Flughafen die ersten Maskenträgerinnen und Maskenträger, zumeist aus Asien. Problemlos meine Einreise zurück in die USA, wo ich an einer Universität arbeite. Mitte März hätte ich wieder in Europa sein sollen, diesmal London, aber die Veranstaltung wurde wegen des Virus abgesagt. So habe ich auch meine Reise storniert und bin daheim in South Bend, Indiana geblieben. Das waren unsere Frühlingsferien, die spring break. Am Mittwoch während dieser Frühlingsferien hat Präsident Donald Trump verkündet, ab Freitag Mitternacht keine Reisenden aus Europa mehr ins Land zu lassen. Mein Institut hatte einigen Studierenden einen Kurzaufenthalt in Europa ermöglicht, alles musste umgebucht werden. Teure Flüge waren das, wir waren heilfroh, alle Studierenden sicher daheim zu haben.

Und dann kam ein Schlag nach dem anderen – erst die Nachricht, dass das Semester online beginnen würde und die Studierenden nach der spring break nicht mehr auf den Campus zurückkehren durften; dann die Order, von zu Hause aus zu arbeiten. Dann die Bestimmungen des Staates Indiana und der Stadt South Bend, nach Möglichkeit die eigenen vier Wände nicht zu verlassen. Die Statistiken der Johns Hopkins Universität zeigen die steigenden Zahlen, Stunde für Stunde, Tag für Tag, Woche für Woche. Das österreichische Außenministerium führte Rückholflüge durch und warnte vor einer Zeit, in der es keine Flüge mehr geben würde. Die Wirtschaftsmaschinerie der Welt war zu einem stotternden Stillstand gekommen.

Brücken bauen

Das ist neu. Ein winziges Virus setzt den vertrauten Alltag weltweit außer Kraft. Das ist zunächst eine Wand. Eine Mauer. Wir stoßen an, vieles steht still. Damit die Mauer zu einem Tor wird, braucht es Gespräche. Ein Gespräch ist eine Einladung, durch eine Tür in eine andere Welt einzutreten. Ein Gespräch ist wie eine Brücke, eine Brücke, zwischen den Gesprächspartnern, eine Brücke von Herz zu Herz.

Das brauchen wir mehr denn je. Wir werden durch die Krise kommen, wenn wir Brücken bauen. Wir werden die Hoffnung über diese Brücke tragen können, wenn wir gemeinsam gehen. Wie werden sie ganz vorsichtig tragen, die Hoffnung, wie eine zarte Pflanze. Das ist die Idee dieses kleinen Buches. Es ist ein Hoffentlichkeitsbuch.