Bibelessay zu Lukas 1,39-56

Mitten im Sommer feiert die katholische Kirche das Fest „Marias Aufnahme in den Himmel“. Es ist das älteste Marienfest, in der Ostkirche wird es seit dem 5. Jahrhundert gefeiert und heißt „Entschlafen Marias“, in der Westkirche seit dem 6. Jahrhundert und wird „leibliche Aufnahme Marias in den Himmel“ genannt.

Papst Pius XII. hat 1950 nach Befragung aller Bischöfe diese leibliche Aufnahme zur ausdrücklichen Lehre der katholischen Kirche erhoben – was zu zahlreichen Auseinandersetzungen führte.

Helga Kohler-Spiegel
ist katholische Theologin und Psychotherapeutin

Das Leben, eine Himmelfahrt

An Maria Himmelfahrt feiern manche christlichen Kirchen, dass an Maria stellvertretend geschieht, was allen für das Sterben zugesagt ist: Dass die Menschen nicht im Tod bleiben werden, sondern – so die biblische Überlieferung – dass die Menschen aufgenommen sind bei Gott. Oder ich könnte auch sagen: …dass – wie bei Maria – auch das eigene Leben mit einer „Himmelfahrt“ enden wird.

Im Mittelpunkt dieses Festes steht ein Text aus den sogenannten Kindheitserzählungen des Lukasevangeliums. Nach der Verheißung der Geburt von Johannes, der als der Täufer in die Geschichte eingehen wird, und der Verheißung der Geburt des Jesus aus Nazareth führt der vorliegende Abschnitt die beiden Mütter und ihre werdenden Kinder zusammen. Im Mittelpunkt steht die Begegnung von zwei schwangeren Frauen.

Die ältere Frau, Elisabeth – ihr Name bedeutet: „Gott hat einen Eid gegeben“. Für Elisabeth muss ihr Name manchmal wie Hohn getönt haben. Schon lange wartet sie auf ein Kind, hofft und wagt vermutlich oft nicht mehr zu hoffen, um sich die Enttäuschung zu ersparen. Doch dann kommt die große Wendung: Als niemand mehr damit rechnet, wird Elisabeth schwanger – mit ihrem Sohn Johannes. Es gibt sie noch, diese Geschichten von unerwarteter und überraschender Veränderung.

Maria singt

Und da ist Maria, Mirjam, die junge Frau, noch ohne Mann lebend. Bei der sogenannten Verkündigung durch den Engel geht sie in Widerrede mit ihm, bevor sie zustimmend sagen kann: „Ja, ich bin Prophetin, ja ich bin Knechtin Gottes, wie die Prophetinnen und Propheten vor mir.“

Lebenskunst
Samstag, 15.8.2020, 7.05 Uhr, Ö1

„Mit Eile“ – so überliefert das Lukasevangelium, geht Maria zu Elisabeth, die jüngere zur älteren Frau, verbunden durch das Abenteuer einer unerhörten Veränderung.

Was die beiden Frauen in drei gemeinsamen Monaten erleben, überliefert das Lukasevangelium mit den Worten: Jubel und Freude, erfüllt und gesegnet. Und Maria singt (wie vor ihr die Hanna, die Mutter des Samuel, aufgeschrieben in der Hebräischen Bibel, im Ersten oder Alten Testament), Maria also singt diesem Gott: „Magnificat anima mea… Es preist meine Seele Gott den Herrn...“ Maria singt von der Zusage Gottes, die Verhältnisse dieser Welt umzukehren. Maria singt von einem Leben nach den Spielregeln Gottes. Entgegen der Welt von Kaisern und Herrschern, von Augustus und von Herodes wird hier „frohe Botschaft“ erzählt.

Veränderung und Neubeginn

Es ist bis heute ein ungewohntes Bild von Gott: Am Beginn des Lukasevangeliums zeigt sich Gott in der Begegnung dieser zwei schwangeren Frauen. Gott ist da, wenn sich zwei Frauen begegnen, so sagt der Text. Und die beiden Frauen erkennen, dass Gott seiner Zusage treu bleibt: Die Herrschaftsverhältnisse der Welt sollen nicht so bleiben wie sie sind; von Aufbruch und Veränderung und Neubeginn ist die Rede.

Maria Himmelfahrt - ein schönes Fest, finde ich. Jahr für Jahr wird daran erinnert, dass die Frohe Botschaft in der Begegnung dieser zwei Frauen ihren Anfang nimmt. Und dass auch das Ende gut sein wird: Auch wenn das Leben noch so viele Berg- und Talfahrten bringt, ich vertraue darauf: Das Ende wird eine „Himmelfahrt“ sein.