Die Seuche Rassismus

„Sag mir, woher du kommst, und ich sage dir, wie weit du es schaffst.“ Dieser Spruch hängt im Schaufenster eines Sozialunternehmens in meiner Nachbarschaft. Ein Spruch, der meiner Meinung nach leider viel zu wahr ist.

Menschen, deren Migrationshintergrund aufgrund ihrer Hautfarbe, ihres Aussehens oder Namens sehr offensichtlich ist, erleben es häufig, dass sie in ihrer Schul- und Berufslaufbahn mehr Hindernisse überwinden müssen als ihre „offensichtlich österreichischen“ Kolleg/innen. Oder man kann auch einfach fragen: Wie viele „People of Color“ – also Menschen mit nicht weißer Hautfarbe – findet man in den Chefetagen der Unternehmen unseres Landes?

Stefan Schröckenfuchs
ist Superintendent der evangelisch-methodistischen Kirche

Traurige Tradition

Die Ungleichbehandlung von Menschen aufgrund von Aussehen, Herkunft oder Abstammung hat eine lange, traurige Tradition. Ein besonders grausamer Ausdruck davon war die Sklaverei. So wurden z.B. seit der Entdeckung Amerikas 1492 durch Christoph Columbus über 11 Millionen Menschen aus Afrika als Sklavinnen und Sklaven in die europäischen Kolonien in Nord- und Südamerika verschleppt.

Im Jahr 1780 haben die amerikanischen Methodisten als erste Kirche in Amerika ein kirchliches Verbot erlassen, Sklavinnen und Sklaven zu halten; andere Kirchen sind ihrem Beispiel später gefolgt. Bis die Sklaverei in den USA auch offiziell verboten wurde, sollte es allerdings noch fast 100 Jahre – nämlich bis 1865 dauern. In vielen europäischen Ländern wurde dieses Verbot schon deutlich früher ausgesprochen, so z.B. in Dänemark, das im Jahr 1792 eine Vorreiterrolle einnahm. Und seit 1980 – also seit gerade einmal 40 Jahren – ist Sklaverei in allen Ländern der Welt offiziell verboten.

„White Supremacy“

Dennoch befinden sich bis heute Millionen Menschen in sklavenähnlichen Arbeitsverhältnissen. Daran erinnern die vereinten Nationen mit dem „Internationalen Tag der Erinnerung an Sklavenhandel und dessen Abschaffung“, der jedes Jahr am 23. August begangen wird. Und von der Zusage, die im Artikel 1 der Menschenrechte verbrieft ist, dass „alle Menschen (…) frei und gleich an Würde und Rechten geboren“ sind und sie „…einander im Geist der Solidarität begegnen“ sollen, ist unsere Weltgemeinschaft ebenfalls weit entfernt.

Zwischenruf
Sonntag, 23.8.2020, 6.55 Uhr, Ö1

Insbesondere in den USA ist der Irrglaube an die sogenannte „White Supremacy“ sehr verbreitet. „White Supremacy“, das ist die Vorstellung, dass weiße Menschen anderen Menschen, insbesondere jenen mit dunkler Hautfarbe, überlegen wären und daher die Gesellschaft dominieren sollten. Mit der Tötung des Afroamerikaners George Floyd am 25. Mai durch weiße Polizisten im US-Bundesstaat Minnesota ist wieder neu sichtbar geworden, welch tödliche Auswüchse die Seuche des Rassismus hervorbringen kann.

Entsprechend vehement sind die Proteste in den betroffenen Bevölkerungsschichten in den USA. Bürgerrechtsbewegungen und Kirchen unterstützen auf breiter Basis den Ruf nach Reformen. Auch die evangelisch-methodistische Kirche in den USA beteiligt sich daran mit der breit angelegten Kampagne „End Racism“. Sie setzt dabei v.a. auf Bildungsmaßnahmen und arbeitet so an der Überwindung der „White Supremacy“.

„Wir ändern das“

Dass die Frage der Benachteiligung von „People of Color“ derzeit in Europa nicht im selben Maß Wellen schlägt wie in den USA, sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass das Übel namens „Rassismus“ auch in unseren Breitengraden weit verbreitet ist. Und es richtet großen Schaden an.

Eine Facette davon ist jene, die im Schaufenster in meiner Nachbarschaft zu lesen ist: „Sag mir, woher du kommst, und ich sage dir, wie weit du es schaffst.“ Darunter ist jedoch auch zu lesen, was sich das Sozialunternehmen vorgenommen hat: „Wir ändern das.“

„Sag mir, woher du kommst, und ich sage dir, wie weit du es schaffst.“ Ändern wir das!