Dienstag, 22.9.2020, Michael Bünker

Erster Weltkrieg

Schritt für Schritt entfernte sich Walter Benjamin, dieser Wachrüttler, von der Welt seiner Eltern.

Zwei Jahre verbrachte er in einem Internat in Thüringen, wo er, ganz im Trend der Zeit, reformpädagogisch erzogen wurde und der Jugendbewegung nahe kam. Der Jugend gehört die Zukunft, so hörte er es, die Jungen sind ihren Eltern ethisch überlegen, sie sind einfach die besseren Menschen.

Michael Bünker
ist evangelischer Theologe

„Pessimismus auf der ganzen Linie“

Sein Lehrer weckte Walters Interesse für Philosophie und Literatur. Als Folge davon studierte er Philosophie und Philologie. In Freiburg, Berlin, München, zuletzt auch in Bern. Dort lernte er den jungen Ernst Bloch kennen. Aber das ursprünglich so gute Verhältnis zu seinem verehrten Lehrer aus Thüringen zerbrach 1914 zu Beginn des Ersten Weltkriegs. Der hatte den Krieg nämlich – wie so viele andere auch – begeistert begrüßt. Walter Benjamin hingegen hat ihn von Anfang an abgelehnt und entzog sich erfolgreich der Einberufung.

In die Jahre des Krieges fiel auch seine Loslösung vom Elternhaus. 1917 heiratete er Dora Pollack, ein Jahr später bekamen sie ein Kind. Der Vater erwartete zwar nach wie vor, dass Walter einen anständigen Brotberuf erlernt und dass die junge Familie ins Elternhaus zieht. Aber beides geschah nicht. Dora arbeitete als Übersetzerin und hielt damit die Familie über Wasser. Und Walter war keinesfalls bereit, wie sein Vater zu einem Anhänger der profanen Religion des Kapitalismus zu werden.

Die revolutionären Aufbrüche, die er erlebte, begrüßte er. Aber optimistisch sah er nicht in die Zukunft. Einige Jahre nach dem Krieg schrieb er: „Pessimismus auf der ganzen Linie. Misstrauen in das Geschick der Literatur, Misstrauen in das Geschick der Freiheit, Misstrauen in das Geschick der europäischen Menschheit, vor allem aber Misstrauen, Misstrauen und Misstrauen in alle Verständigung: die zwischen den Klassen, zwischen den Völkern, zwischen den Einzelnen.“

Woher sollte, so von Misstrauen geprägt, für einen, der aus der Traumwelt erwacht, Hoffnung kommen?

Musik:

London Sinfonietta unter der Leitung von David Atherton: „Tango Ballade“ aus: Kleine Dreigroschenmusik – Suite für Blasorchester aus der „Dreigroschenoper“ von Kurt Weill
Label: DG 4232552