Lebenskunst 11.10.2020, Josef Schultes

Bibelessay zu Matthäus 22,1-10

„Ein Tag voll überhellem Licht! Die Morgenröte, die Strahlen der aufgehenden Sonne berühren unser Herz. Alles erweckt Jubel!“ – Ein Zitat, das große Gefühle verheißt, am Morgen eines großen Tages.

Kündigt sich da eine Royal Wedding an, etwa dass der Kronprinz heiratet? Doch das Medien-Event sind in diesem Fall – Bischöfe! 2500 aus aller Welt haben sich versammelt. In Rom. Zum Zweiten Vatikanischen Konzil.

Josef Schultes
ist katholischer Theologe und Bibelwissenschaftler

Ein etwas anderes Hochzeitsmahl

Die einleitenden Sätze stammen aus der historisch gewordenen Eröffnungsrede „Gaudet Mater Ecclesia“, „Die Mutter Kirche freut sich“. Eigenhändig hat sie Papst Johannes XXIII. verfasst und auch selbst gehalten. Heute vor genau 58 Jahren, am 11. Oktober 1962. Drei Jahre lang dauerte das Konzil. Mein Theologiestudium, das ich 1965 begonnen habe, war von einer hoffnungsvollen Aufbruchsstimmung begleitet.

„Ein Tag voll überhellem Licht und frohem Jubel!“ Das könnte auch über diesem Bibeltext stehen. Denn da lässt ein König ein besonderes Fest vorbereiten, die Hochzeit für seinen Sohn. Einer, der Macht hat und Geld, schickt seine Diener aus, um die Vornehmen seines Reiches zum Bankett zu bitten. Und dann, gutes Ende einer kurzen Story, feiern alle miteinander ein großes Mahl, mit köstlichen Speisen und erlesenen Weinen – ein Bild für den Himmel auf Erden…

Zu schön, um wahr zu sein! Denn die Erzählung nimmt eine völlig andere Wendung: Die Geladenen kommen nicht, aus diversen Gründen. Bei Matthäus sind es zwei: Sie gehen auf ihren Acker und in ihr Geschäft. Bei Lukas, der das Gleichnis nur als „großes Essen“ eines Privatmannes überliefert (Lk 14,15-24), gibt es drei Ausreden: ein Ackerkauf, fünf Joch Ochsen sowie die eigene Heirat eines der Geladenen. Und gar vier ablehnende Entschuldigungen finden sich im sogenannten Thomasevangelium (Logion 64), einer außerbiblischen Spruchsammlung aus späterer Zeit. Alle drei Fassungen der Parabel zeigen aber die gleiche Reaktion des Gastgebers: Er lässt von den Straßen und Wegkreuzungen Ersatzgäste für das vorbereitete Mahl herbeiholen.

Das Himmelreich

Zurück zum Evangelium, das an diesem Sonntag in katholischen Kirchen zu hören ist, zu den irritierenden Brüchen im Gleichnis bei Matthäus. Aus dem Rahmen fällt schon die Tötung der königlichen Boten, für die jedes Motiv fehlt. Dann aber folgt noch, ehe die Hochzeitsparty munter weitergeht, eine militärische Strafexpedition. Der König unternimmt sie, um die Mörder hinrichten und ihre Stadt in Brand setzen zu lassen. Dem redigierenden Verfasser dürften hier die schrecklichen Ereignisse des Jahres 70.n.Chr. vor Augen gestanden sein: Römische Legionäre erobern und zerstören Jerusalem, der Tempel geht in Flammen auf. Die geraubten Kultgeräte werden, wie der Titusbogen auf dem Forum zeigt, in einem aufwändigen Triumphzug präsentiert. In Rom.

Lebenskunst
Sonntag, 11.10.2020, 7.05 Uhr, Ö1

Zehn bis 20 Jahre später entsteht das Matthäusevangelium. Es ist geprägt von vielen Gleichnissen, in denen Jesus vom „Himmelreich“ erzählt, von Gottes neuer Welt vom, wenn man so möchte, Himmel auch auf Erden, von jener neuen Welt, die der Gott der Bibel den Menschen verheißt, die an ihn glauben und seine Liebe leben. Pointiert und konfliktfreudig sind sie, die Gleichniserzählungen. „Als die Hohepriester und die Pharisäer seine Gleichnisse hörten, merkten sie, dass er von ihnen sprach. Sie suchten ihn zu ergreifen; aber sie fürchteten die Menge, weil sie ihn für einen Propheten hielt“ (Mt 21,45f). Diese zwei Verse stehen am Schluss des Gleichnisses von den bösen Winzern. Daran unmittelbar anschließend folgt das Gleichnis vom königlichen Hochzeitsmahl. Das tragische Schicksal des Jesus von Nazareth und die Verfolgung seiner Jüngerinnen und Jünger werden dabei in unterschiedlichen Bildern erzählt, adressiert an konkrete Menschen, aus der Sicht nach Ostern.

Schließen möchte ich heute aber mit einer sehr persönlichen Hochzeitsgeschichte. Seit vielen Jahren haben wir zwei ganz liebenswürdige Nachbarn. Er ist 94 und sie 90. Vor kurzem haben wir im kleinen Kreis ihre „Steinerne Hochzeit“ gefeiert: 67 Jahre lang verheiratet! Ein langes Leben – mit einer Botschaft als Gleichnis: Miteinander auf dem Weg durch die Zeit. Und füreinander da.