Lebenskunst 18.10.2020, Franz Josef Weißenböck

Bibelessay zu Matthäus 22,15-21

„Gebt dem Kaiser, was dem Kaiser gehört, und Gott, was Gott gehört“. Das klingt nach einer schiedlich-friedlichen Aufteilung, fast so, als wären der Kaiser und der Gott der Bibel gleichberechtigt, jeweils für ihre Sphäre zuständig.

Die Übersetzung aus dem griechischen Urtext legt das nahe, und vielfach wird der Text auch so verstanden und gedeutet. Ich meine, dass hier, wie auch an anderen Stellen, eine Tendenz zur Verharmlosung festzustellen ist. Die Geschichte hat mehr Schärfe zu bieten. Dafür spricht der griechische Originaltext des Evangeliums. Dafür spricht aber auch das historische Umfeld, in dem diese Szene spielt.

Franz Josef Weißenböck
ist katholischer Theologe und Publizist

Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist

Zunächst zur Situation. Die Kopfsteuer, um die es hier geht, war von allen Bewohnern Judäas zu entrichten, seit die Provinz von einem römischen Statthalter verwaltet wurde. Das war zur Zeit des Jesus von Nazareth seit etwa einer Generation der Fall. Diese Steuer war umstritten, nicht zuletzt wegen des Bildes des Kaisers auf der Steuermünze und wegen der Aufschrift. Es war das Bild des Kaisers Tiberius, und die lateinische Aufschrift lautete übersetzt: Kaiser Tiberius, des göttlichen Augustus anbetungswürdiger Sohn, oberster Priester. Schon das macht verständlich, dass die Frage der Steuer höchst umstritten war. Die sadduzäische Priesterschaft im Tempel scheint damit weniger Probleme gehabt zu haben – die war an politischer Ruhe interessiert. Die Gruppe der Zeloten hingegen lehnte die Steuer ab. In der Partei der Pharisäer scheint es darüber Diskussionen und verschiedene Ansichten gegeben zu haben.

In dieser Situation war die Frage an Jesus nach der Erlaubtheit der Steuer eine Falle. Sagte er ja, die Steuerzahlung ist erlaubt, verlor er jeden Kredit bei den Frommen und erschien als Römerfreund. Sagte er nein, die Steuerzahlung ist nicht erlaubt, konnte er als Aufrührer angeklagt werden.

Jesus sagt aber weder ja noch nein. Er steht über dieser Frage. Das zeigt seine Aufforderung: Zeigt mir eine Münze, mit der ihr eure Steuern bezahlt! Er selbst hatte offenbar kein Geld in der Tasche, und vermutlich rührte er die Münze des Kaisers auch nicht an, denn es heißt: Sie hielten ihm einen Denar hin.

Freiheit ist allen Menschen zugänglich

Schon die ganze Situation ist für mich ein Zeichen dafür, dass es nicht um eine schiedlich-friedliche Aufteilung des Bereichs des Kaisers auf der einen und des Bereichs Gottes auf der anderen Seite geht. Der griechische Wortlaut bestätigt das. Sowohl bei Markus als auch bei Lukas und in dieser Stelle bei Matthäus steht „apodote“, und das lässt sich besser mit „zurückgeben“ übersetzen.

Lebenskunst
Sonntag, 18.10.2020, 7.05 Uhr, Ö1

Die bereits erwähnten Zeloten lehnten die Steuer ab. Ihre Begründung lautete, dass man nach Gott keinem sterblichen Gebieter untertan sein dürfe. Im Mittelpunkt der Verkündigung Jesu steht die Königsherrschaft jenes Gottes, von dem die Bibel erzählt, missverständlich üblicherweise als „Reich Gottes“ bezeichnet. Wer die Königsherrschaft Gottes in seinem Leben anerkennt, kann keines Menschen Untertan sein. Bei Jesus findet das auch darin seinen Ausdruck, dass er nicht einmal eine Steuermünze bei sich hat. Wer Gott als Herren anerkennt, kann aber auch selbst nicht Herr über andere sein. Beides zusammen erst ergibt die „Freiheit der Kinder Gottes“.

Diese Freiheit ist allen Menschen zugänglich, sogar Herrschern. Der römische Kaiser Mark Aurel, der vor 1840 Jahren in Wien gestorben ist, richtet diese Aufforderung an sich selbst: „Mache dich weder zum Herrn noch zum Sklaven irgendeines Menschen.“ Ich stelle mir vor, Jesus hätte zu ihm gesagt: „Marcus, Du bist ganz nah an der Gottesherrschaft!“