Lebenskunst 15.11.2020, Franz Josef Weißenböck

Bibelessay zu Buch der Sprichwörter 31,10-13.19-29.30-31

Hintergrund und Entstehungsgeschichte dieses Textes aus der Hebräischen Bibel, aus dem sogenannten Alten oder Ersten Testament, sind kompliziert.

Die meisten Forscher setzen die Endredaktion des Buchs der Sprichwörter um das Jahr 200 vor Christus an. Indem das Lob der tüchtigen Frau im katholischen Gottesdienst an diesem Sonntag als erste Lesung vorgesehen ist, macht sich die römisch-katholische Kirche dieses Loblied des Volkes Israel zu eigen.

Franz Josef Weißenböck
ist katholischer Theologe und Autor

„Eine tüchtige Frau“

Unüberhörbar bleiben allerdings zwei Punkte. Zum einen gilt das Lob allein der „gottesfürchtigen“ Frau, „sie allein“, heißt es, „soll man rühmen“. Zum anderen vertritt der Text ein fixiertes Rollenbild der Frau: Der Spinnrocken passt nicht in die Hand eines Mannes. Das wird durch die Auswahl der Verse noch verstärkt. Der – im Text der Lesung vielleicht nicht zufällig ausgelassene – Vers 26 lautet etwa: „Sie öffnet ihren Mund in Weisheit und Unterweisung in Güte ist auf ihrer Zunge“. Im Hebräischen Text steht da das Wort torah – und das meint auch die Weisung, das Gesetz Gottes. Und das im Mund einer Frau? Es ist zumindest erstaunlich und in jedem Fall bemerkenswert.

Man kann, sonntäglich gestimmt, vollen Herzens in das Lob der tüchtigen Frau einstimmen. Man kann aber, von diesem Text ausgehend, ein paar nüchterne Fragen stellen, etwa zur Stellung der Frau in der katholischen Kirche. Mich beschäftigen drei Fragen.

Frauen als Apostelinnen

Zum einen: Was sollte bestimmend sein für die Stellung der Frau in der Kirche? Die Bibel spiegelt ja Bilder und Vorstellungen ihrer Welt und Zeit. Schon das Buch Genesis enthält zwei verschiedene Ansätze. Im ersten Schöpfungsbericht in Kapitel eins heißt es kurz und bündig: „Gott erschuf den Menschen als sein Bild, männlich und weiblich erschuf er sie“. Wirkmächtiger wurde allerdings der zweite Schöpfungsbericht im 2. Kapitel. Dass Eva aus der Rippe Adams geformt wurde, hat in der Tradition die Begründung der Unterordnung der Frau unter den Mann geliefert.

Lebenskunst
Sonntag, 15.11.2020, 7.05 Uhr, Ö1

Zum anderen: Jesus von Nazaret sind nicht nur Jünger gefolgt, sondern auch Jüngerinnen – einige von ihnen werden in den neutestamentlichen Schriften sogar namentlich genannt. Paulus schickt in seinem Brief an die Gemeinde in Rom einen besonderen Gruß an Andronikus und Junia, die – wie Paulus schreibt – unter den Aposteln herausragen. Junia ist ein Frauenname. Eine Frau als Apostelin? Um das zu verhüten, hat man durch die Jahrhunderte aus der Frau Junia den Mann Junias gemacht und das erst vor Kurzem revidiert.

Lob der Frau

Eine dritte – und letzte – Überlegung: Die durchgängige Abwertung der Frau gegenüber dem Mann bildet den dunklen Hintergrund für die zuweilen maßlose Hochschätzung des Zölibats und der Jungfräulichkeit insgesamt. Dies bildet auch die Quelle einer speziellen Form der Marienverehrung. Ich stelle mir eine Maria aus Nazaret vor, der weniger Süßlichkeit für ihre Person und dafür mehr Respekt für ihre Geschlechtsgenossinnen lieber wäre.

Also nichts als Fragen zum Thema Frau? Nein, nicht nur Fragen. Über allen Fragen steht das Lob der Frau und der Ruhm ihrer vielfältigen Tätigkeit – und bisweilen auch das Lob einer Kirche, zu der durchaus Menschen – natürlich auch Frauen! – gehören, die manches kritisch hinterfragen.