Lebenskunst 29.11.2020, Elisabeth Birnbaum

Bibelessay zu Markus 13,33-37

Wenn ich diese Evangelienstelle höre oder lese, bleiben mir regelmäßig drei Worte im Gedächtnis: „Bleibt wach!“, „ihr wisst nicht“ und „der Hausherr kommt.“

Normalerweise begegnet mir dieser Text in meiner Arbeit als Biblikerin. Da lese ich ihn natürlich im größeren Zusammenhang des Markusevangeliums. Und der wichtigste Satz darin ist für mich meistens: „der Hausherr kommt“. Der Text ist ja, im Zusammenhang gelesen, noch um einiges dramatischer. Denn Jesus von Nazaret spricht darin von der Endzeit, von einer Zeit der schrecklichen Bedrängnis, von der Verfinsterung von Sonne und Mond und davon, dass die Sterne vom Himmel fallen. Und erst, wenn alles das geschehen ist, kommt der Menschensohn in seiner Herrlichkeit, dann erst kommt der „Hausherr“.

Elisabeth Birnbaum
ist Direktorin des Österreichischen Katholischen Bibelwerks

Über das wachsame Warten

Wachsam zu sein bedeutet in diesem Text dann meiner Meinung nach, so zu leben, als ob der Messias, übersetzt: Christus, der Hausherr, im nächsten Moment wiederkäme, also am Glauben an ihn festzuhalten und in seinem Sinn zu handeln.

Im Neuen Testament finde ich einige solche Texte, die davon sprechen, dass den Menschen diese Zeit der Bedrängnis zu lang oder zu hart geworden ist, dass viele zu zweifeln beginnen oder abstumpfen. Immer wieder mahnen diese Texte, weiterhin wachsam zu sein und zu bleiben und die Zuversicht nicht zu verlieren. Mittlerweile, nach 2000 Jahren, gibt es sicher noch mehr Menschen, die Schwierigkeiten haben zu glauben, dass Christus gerade in ihren Tagen wiederkommt, dass gerade jetzt die sogenannte Endzeit endgültig angebrochen ist. Es ist schwer, so lange auf etwas zu warten.

Vorbereitung auf Weihnachten

Alle drei Jahre höre ich dieses Evangelium am 1. Adventsonntag in der katholischen Kirche. Und dann fühlt es sich wieder anders an. Da sticht für mich der Satz „bleibt wach“ heraus. Eine Zeit der Bedrängnis ist diese Zeit normalerweise kaum noch, höchstens in zeitlicher Hinsicht, und nach vier bis fünf Wochen ist sie auch schon wieder vorbei. Da gibt es keine Unsicherheiten über den Zeitpunkt: Genau in der Heiligen Nacht kommt das Christkind.

Lebenskunst
Sonntag, 29.11.2020, 7.05 Uhr, Ö1

Auf den Advent umgelegt klingt der Text eher wie die Mahnung, die Vorbereitungszeit auf Weihnachten nicht zu verschlafen, sondern gut zu nützen, wach zu bleiben. Im Advent versuchen viele meiner Bekannten und auch ich normalerweise, dem Adventstress nicht ganz zu unterliegen, die Zeit für ein wenig Ruhe, Muße und Innehalten zu nutzen und wieder offen und wach zu werden für das Wunder Weihnacht.

Es bleibt nichts anderes übrig, als zu warten

Heuer aber liest sich dieser Text für mich völlig anders. Heuer springt mich vor allem der Satz „ihr wisst nicht“ an: Im Moment gibt es vieles, was niemand weiß. Woher das neuartige Virus wirklich kam, was genau daran schuld ist, ob der neue Impfstoff wirklich die Lösung sein wird, welche Maßnahmen wann am besten wirken und so weiter. Aber vor allem weiß niemand, wann diese bedrängende Zeit vorbei sein wird.

Und das Warten, ohne zu wissen, wie lange, ist ein schwieriger Aspekt der jetzigen Situation. Uns allen bleibt nichts anderes übrig, als zu warten. Warten auf bessere Zeiten, auf ein Sinken der Fallzahlen, auf eine Aufhebung der Maßnahmen, auf eine Rückkehr zur Normalität. Das Warten kann mühsam sein und verunsichern. Viele Veranstaltungen, die ich derzeit plane oder zugesagt habe, werden gerade verschoben. Niemand weiß, ob die nächsten stattfinden werden.

Zeit der Bedrängnis

Das Warten kann auch schläfrig machen und träge. Manchmal möchte ich am liebsten gar nicht weiterplanen. Manchmal möchte ich alles schon im Voraus absagen. Warten kann hoffnungslos machen und man resigniert: Vielleicht wird es noch Jahre dauern, vielleicht ändert sich noch lange nichts?

In so einer Situation wachsam zu bleiben, meint in meinen Augen, zu verhindern, dass dieses Nichtwissen zu Verzweiflung oder Lethargie führt. Sondern immer damit zu rechnen, dass die Zeit der Bedrängnis bald wieder vorbei ist. So sicher zu sein, dass es wieder besser wird, wie man sicher ist, dass in viereinhalb Wochen Weihnachten ist. Und sich vielleicht sogar jetzt schon ein wenig zu freuen, dass irgendwann der Hausherr kommt und alles wendet.