Lebenskunst 6.12.2020, Esther Handschin

Bibelessay zu Jakobus 5,7-8

Warten: Viele Menschen tun es nicht gerne. Sie werden ungeduldig dabei. Wie lange dauert es noch, bis der Bus kommt? Wie viele Minuten stehen auf der Anzeige der U-Bahn? Wie lange muss ich in der Schlange stehen, bis ich drankomme, im Supermarkt, auf der Post, bei der Bank?

Warten: Viele Menschen tun es nicht gerne. Sie werden ungeduldig dabei. Wie lange dauert es noch, bis der Bus kommt? Wie viele Minuten stehen auf der Anzeige der U-Bahn? Wie lange muss ich in der Schlange stehen, bis ich drankomme, im Supermarkt, auf der Post, bei der Bank?

Esther Handschin
ist Pastorin der evangelisch-methodistische Kirche in Wien-Floridsdorf

Bräuche gegen Wartezeiten

Seit Ausbruch der Corona-Pandemie sind diese Fragen anders geworden: Wann bekomme ich das Testergebnis? Wie lange dauert es noch, bis der Lockdown zu Ende ist? Wann kommt eine wirksame Impfung, die diesem Spuk ein Ende bereitet?

Vielleicht helfen uns für diese Wartezeiten ähnliche Bräuche, wie sie für den Advent – für die Vorbereitungszeit auf Weihnachten – entwickelt wurden: Jeden Tag ein Türchen öffnen beim Adventskalender. An den Sonntagen eine Kerze anzünden, wie es beim Adventskranz der Brauch ist, den der evangelische Pfarrer Johann Hinrich Wichern für die Burschen in seinem Waisenhaus erfunden hat. Oder jeden Tag eine Krippenfigur mehr hinzustellen, bis am Heiligen Abend als letztes das Jesuskind in die leere Krippe gelegt wird.

Der Schreiber des Jakobusbriefes ermutigt die Leserin, den Leser, Geduld zu haben, bis, wie es heißt, „der Herr“, griechisch „Kyrios“ kommt. Die Christ/innen der ersten Zeit standen in der Erwartung, dass Jesus von Nazareth, den sie als Meister und Messias, als Christus, übersetzt Gesalbter, wahrgenommen haben, nach seiner Auferstehung und Himmelfahrt bald wiederkommen wird. Nur noch eine kurze Zeit und dann wird er endgültig die Herrschaft in Gottes Reich antreten, sagten sie sich.

Lebenskunst
Sonntag, 6.12.2020, 7.05 Uhr, Ö1

Geduld lohnt sich

Doch mit den Jahren verblasste diese Erwartung der Wiederkunft Jesu in naher Zeit. Je länger die Zeit mit Jesus zurücklag, desto eher tauchte die Frage auf: Wie lange dauert es, bis der Herr, bis der Meister, der Messias, wiederkommt? Darum wird im Jakobusbrief zur Geduld aufgerufen. Ein vergleichendes Bild macht vielleicht bewusst, dass Menschen Geduld auch im täglichen Leben brauchen. Der Bauer muss warten, bis die Saat aufgeht und er ernten kann. Nicht nur der Bauer braucht Geduld. Auch ein Brotteig muss ruhen und aufgehen, bis man ihn formen und backen kann. Und auch eine Schwangerschaft dauert neun Monate bis zur Geburt.

Eines ist freilich gewiss, denke ich mir: Geduld lohnt sich. Was danach kommt, lässt die Zeit davor unbedeutend erscheinen, sei es nun das Weihnachtsfest nach dem Advent, sei es die ersehnte Normalität nach der Pandemie, sei es die Freude über die Geburt eines Kindes nach den Mühen einer Schwangerschaft, sei es die Begegnung mit demjenigen, in dem ich meinen Herrn und Meister gefunden habe, wenn er kommt oder wiederkommt.