Praxis – Religion und Gesellschaft 16.12.2020

Politisches Christentum

Sterbehilfe und Kopftuchverbot | Politik und Christentum | Bischof Glettler auf Lesbos | Kinder klagen gegen Klimawandel

VfGH-Urteil zu Sterbehilfe und Kopftuchverbot

An der Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs, der das Verbot der Suizidhilfe gekippt hat, üben katholische Verbände Kritik. Die evangelische Kirche warnt vor Missbrauch und „gewerblicher Suizidhilfe“.

Praxis
Mittwoch, 16.12.2020, 16.05 Uhr, Ö1

Der Verfassungsgerichtshof (VfGH) hatte auf Antrag mehrerer Betroffener, darunter zweier Schwerkranker, jene Bestimmung aufgehoben, die die Hilfeleistung zum Suizid unter Strafe stellt. Ebenso wurde das seit Herbst 2019 bestehende Kopftuchverbot an Österreichs Volksschulen als verfassungswidrig aufgehoben. Es verstoße gegen den Gleichheitsgrundsatz und die Religionsfreiheit. Die Islamische Glaubensgemeinschaft (IGGÖ) zeigte sich zufrieden und sprach vom Ende „populistischer Verbotspolitik“. – Gestaltung: Andreas Mittendorfer

Österreich und das politische Christentum

Das „Gebet für Hoffnung“, zu dem Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka am 8. Dezember im Parlament geladen hatte, hat viel Staub aufgewirbelt. Nicht zuletzt deshalb, weil die Regierung ja die Bekämpfung des politischen Islam sehr ins Zentrum gerückt hat. Kritikerinnen und Kritiker sehen in dem Gebet aber eine Vereinnahmung des parlamentarischen Raumes durch das Christentum und damit eine Spielart des politischen Christentums.

Buchhinweis:
Michaela Neulinger, „Zwischen Dolorismus und Perfektionismus. Konturen einer politischen Theologie der Verwundbarkeit“, Verlag Ferdinand Schöningh

Für zusätzliche Kritik sorgt auch, dass nicht alle Religionsgemeinschaften beim Gebet vertreten waren: So fehlten Buddhistinnen und Muslime. Aber ist solch ein Gebetstreffen überhaupt zulässig in einem weltanschaulich neutralen Staat und wie scharf ist die Trennung zwischen Staat und Kirchen, allen voran der katholischen, in Österreich tatsächlich? – Gestaltung: Judith Fürst

Bischof Glettler plädiert auf Lesbos für Aufnahme von Flüchtlingen

Nach dem Brand vor einigen Monaten ist das Flüchtlingslager Moria wieder mit Zelten aufgebaut worden, einige Kilometer vom ursprünglichen Ort entfernt in Kara Tepe. Wie das Leben jetzt im Winter dort aussieht, davon wollte sich der Innsbrucker Diözesanbischof Hermann Glettler selbst ein Bild machen. Während am 8. Dezember im Parlament die umstrittene Gebetsstunde abgehalten worden ist, hat Bischof Glettler Maria Empfängnis auf der griechischen Insel Lesbos begangen.

Er wolle beim Wegschauen und Nichtstun nicht mehr mitmachen, so Glettler. Sein Appell an die Regierung: Hilfe vor Ort allein reicht nicht aus. Laut einer Erhebung der Initiative „Courage“ gibt es in Österreich aktuell Kapazität für mehr als 3.000 Flüchtlingsquartiere, die unter anderem Kirchen, Gemeinden, aber auch Privatpersonen zur Verfügung stellen könnten, um Menschen aus den griechischen Lagern aufzunehmen. Veronika Mauler hat Bischof Hermann Glettler nach Lesbos begleitet.

Portugal: Kinder bringen Klimawandel-Fragen vor Gericht

Nach langen Verhandlungen gab es am Freitagmorgen, 11. Dezember, in Brüssel eine Einigung: Die EU hat ihr Klimaziel verschärft. Bis 2030 soll der Ausstoß von Treibhausgasen um mindestens 55 Prozent sinken. Kritikern und Kritikerinnen geht die Einigung nicht weit genug. „Gericht gibt Klimaklage von Kindern gegen 33 Länder grünes Licht“ – das war der unscheinbare Titel einer Agenturmeldung am 30. November. Dahinter verbirgt sich Außergewöhnliches und Richtungsweisendes: Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte, EGMR, in Straßburg hat entschieden, mit der Klimaklage von sechs Kindern aus Portugal fortzufahren. Das bedeutet: Zum ersten Mal werden Klimawandel-Fragen vor einem Gericht verhandelt. Die Beschwerdeführerinnen und Beschwerdeführer verlangen, dass die beklagten Länder, darunter ist auch Österreich, ihre Klimaziele deutlich ambitionierter gestalten. – Gestaltung: Susanne Krischke

Moderation: Alexandra Mantler