Zwischenruf 20.12.2020, Margit Hauft

Familie

Die vierte Kerze brennt, nur noch ein paar Tage, und dann ist es auch in diesem denkwürdigen, so ganz anderen Jahr da, das Weihnachtsfest.

Von wegen ganz anders, eine Bekannte hat mir folgenden Internetfund zugeschickt: Weihnachten 2018: Ich hab keine Lust auf Verwandtschaft. Weihnachten 2019: Ich hab keine Lust auf Verwandtschaft. Weihnachten 2020: Ich will trotz Corona mit meiner gesamten Verwandtschaft Weihnachten feiern, das lass ich mir nicht nehmen, Weihnachten ist schließlich DAS Familienfest!

Margit Hauft
ist ehemalige Vorsitzende der katholischen Frauenbewegung

Selbstverständlichkeit Familie

Woher der plötzliche Sinneswandel? Es macht wohl Selbstverständlichkeiten besonders begehrenswert, wenn sie nicht zu haben sind. Eine der größten Selbstverständlichkeiten ist sicher die Familie, ein Bereich, in dem wir wohl alle Fachleute sind, oder? Schon der Versuch, Familie zu definieren lässt Zweifel daran aufkommen.

Laut Lexikon ist Familie die kleinste gesellschaftliche Einheit. Flapsigere Definitionen hören sich anders an: Familie, das sind die Menschen, die sich aus demselben Kühlschrank ernähren, oder: Früher war die Familie eine Tankstelle, heute ist sie nur mehr eine Garage. Idealisiertes hört sich besonders gut an: Keimzelle des Staates, Herz der Gesellschaft, Hort der Geborgenheit.

Bei den Großeltern einer Freundin hing ein Bild noch über dem Bett und ich habe es nie vergessen. Es zeigte die Heilige Familie von Nazareth. Maria im roten Gewand, das Haar mit einem weißen Schleier bedeckt. Gekonnt lässt sie die Spindel tanzen. Josef vorn übergebeugt an der Säge. Er zerteilt einen aufgebockten Balken. Und Jesus, vielleicht dreizehn, vierzehn; sein langes Haar ist sorgfältig gescheitelt, bearbeitet ein Kantholz mit Hammer und Stemmeisen.

Die Heilige Familie

Das ist sie, die wohl berühmteste Familie der Welt, in unzähligen Bildern gemalt, in zahlreichen Texten erwähnt. Im Laufe der Jahrhunderte wurde sie immer mehr zu einem Idealbild, obwohl bei genauem Hinsehen gerade bei der „Heiligen Familie“ nicht alles so verläuft, wie man sich das gerne vorstellt. Maria, unverheiratet und wohl nicht älter als 14, wird schwanger. Josef, ihr Verlobter ist nicht der Vater, entscheidet sich aber trotzdem dafür, bei Maria zu bleiben. Die Geburt, bestenfalls im Stall, entspricht auch nicht den heutigen Standards der Geburtshilfe und schon nach wenigen Tagen muss sich die junge Familie auf eine beschwerliche Flucht nach Ägypten begeben.

Zwischenruf
Sonntag, 20.12.2020, 6.55 Uhr, Ö1

Was wird vom zwölfjährigen Jesus erzählt? Auf der großen Pilgerreise ist er plötzlich weg, und als ihn die besorgten Eltern nach Tagen der Angst endlich finden und ihn fragen, warum er ihnen so etwas angetan hatte, kommt die „patzige“ Antwort: „Ihr hättet doch wissen müssen, wo ich bin!“ Kein Hindenken daran, dass Josef den Junior in sein Handwerk einführen kann, wie er es bei seinem Vater erlebt hatte. Nein, den jungen Mann zieht es hinaus in die Welt, er ist alles andere als angepasst und endet schließlich für seine revolutionären Ideen am Kreuz.

„Überstehen ist alles“

In der Bibel gibt es vieles: Patchworkfamilien, Leihmutterschaft, Alleinerziehende. Die biblische Richtschnur für Heiligkeit ist für mich nicht das Idealbild der Heiligen Familie. Es ist kein Maß für meine Heiligkeit, ob ich verheiratet bin, als Single oder in einer Patchworkfamilie lebe, in einer Klein- oder Großfamilie oder als Alleinerziehende. Die Bibel kennt ein anderes Kriterium: die Liebe zu Gott und den Nächsten. So wie Josef seine Maria liebt und zu ihrem Kind steht, es fürsorglich wie sein eigenes annimmt, so zeigt sich der biblische Maßstab für ein Zusammenleben in jeder Form: Liebe, Treue, Wertschätzung und Verantwortung füreinander.

Ideale sind wichtig und richtig als Zielvorstellungen, aber sie müssen hinterfragbar und veränderbar sein, so wie unsere Familien auch immer wieder ihr Gesicht ändern.

Meinen Weihnachtswunsch an uns alle borge ich mir heute bei Rainer Maria Rilke aus: „Weihnachtszeit, wer spricht vom Siegen, Überstehen ist alles! In diesem Sinne: Frohe Weihnachten!“