Zwischenruf 27.12.2020, Lars Müller-Marienburg

Keine ungetrübte Zeit

Mit das Schönste und Lohnenswerteste am Pfarrersein ist für mich die Jugendarbeit. Ich schätze die Ehrlichkeit der jungen Leute, mit der sie unmissverständlich zeigen: Das, was ich erzähle, interessiert sie – oder es langweilt sie völlig.

Ich liebe ihre Bereitschaft, jeden Spaß mitzumachen. Ich bin bewegt von ihrer Fähigkeit, Menschen ihre Fehler zu verzeihen, so lange sie überzeugt sind: Eigentlich ist der oder die ok. Ich bin geehrt, wenn sie ihre Sorgen und Nöte mit mir teilen – egal, ob ich eine Lösung weiß oder ob ich genauso ratlos bin wie sie.

Lars Müller-Marienburg
ist Superintendent der evangelisch-lutherischen Kirche in Niederösterreich

Sorgen um die Zukunft

Wenn ich Jugendliche auf Konfirmations- oder Sommerlager begleite, dabei auf durchgelegenen Jugendherbergsmatratzen oder auf meiner harten Isomatte im Zelt schlafen muss, kalt dusche und einfach esse, ist das unbequem. Aber das ist völlig egal, denn ich bin sicher: Es lohnt sich. Die jungen Leute haben es verdient, eine wertschätzende, angst- und gewaltfreie Zeit zu erleben.

Und doch passiert besonders in der Konfirmandenarbeit regelmäßig etwas Seltsames: Irgendwann während der einjährigen Vorbereitung auf die Konfirmation fällt ein Schatten auf die gut gelaunten, freundlichen, hoffnungsvollen Jugendlichen (meist passiert es bei der festlichen Konfirmation der 14-Jährigen selbst). Der Schatten kommt von meinen Sorgen: Was wird die Zukunft für sie bringen? Wie werden sie mit dem Schmerz zurechtkommen, der zu jedem menschlichen Leben dazu gehört? Werden sie die richtigen Entscheidungen treffen? Werden sie liebesfähig sein und von anderen geliebt werden? Und: Bleibt es bei den „normalen“ Schwierigkeiten oder kommt besonders Schweres auf sie zu? Leider ist ja auch das nicht ausgeschlossen.

Das Schicksal des Kindes in der Krippe

So schön festlich und warm Weihnachten auch sein mag: Derselbe Schatten, den meine Sorgen auf die Konfirmandinnen und Konfirmanden werfen, gehört auch zur Geburt Jesu dazu. Weihnachten ist niemals nur das Fest vom süßen, herzliebsten Jesulein. Die Weihnachtszeit ist niemals nur eine ungetrübte Zeit der singenden Engel, der anbetenden Hirten, der verständigen Weisen aus fremden Ländern (oder wie die Tradition sagt: Könige). Das Licht von Weihnachten scheint auf den holden Knaben im lockigen Haar. Aber es wirft auch den Schatten des Karfreitags auf das neugeborene Kind. Alle Welt steht staunend vor dem Wunder des kleinen Gottessohnes – aber das spätere Schicksal des 30-jährigen jungen Mannes Jesus ist schon bekannt: Verlassen von seinen engsten Freunden fiel er einem Schauprozess zum Opfer. Und er starb – auf grausame Weise am Kreuz.

Zwischenruf
Sonntag, 27.12.2020, 6.55 Uhr, Ö1

Johann Sebastian Bach hat den Schatten des Weihnachtslichtes in genialer Weise vertont. Im Weihnachtsoratorium lässt er den Chor den bekannten evangelischen Choral „Wie soll ich dich empfangen“ singen.

Wie soll ich dich empfangen / und wie begegn ich dir,
o aller Welt Verlangen, / o meiner Seelen Zier?
O Jesu, Jesu, setze / mir selbst die Fackel bei,
damit, was dich ergötze, / mir kund und wissend sei.

Aber er unterlegt den Text des Chorals mit der Melodie des Karfreitagsliedes „O Haupt voll Blut und Wunden“. Er verbindet also den Text des Staunens und der großen Freude über das Kind in der Krippe mit dem Klang des schweren zukünftigen Schicksals. Beides ist eine Realität im Leben Jesu. Auf beides hat sich Gott eingelassen, als er Mensch geworden ist.