Lebenskunst 1.1.2021

Bibelessay zu Numeri 6,22-27

„Einen guten Rutsch! Frohes neues Jahr! Alles Gute!“ Sind solche Wünsche zu Beginn eines neuen Jahres mehr als bloße Floskeln? – Ja. Wer jemandem so etwas von Herzen wünscht, macht keine leeren Worte, sondern sagt damit: „Du bist mir wichtig. Schön, dass es dich gibt! Möge es dir gut gehen!“

Solche Glückwünsche kommen dem sehr nahe, was aus biblischer Sicht „segnen“ meint. Das lateinische Wort für segnen lautet benedicere. Wörtlich: über jemanden Gutes sagen. In das Leben eines anderen Gutes hineinsprechen.

Melanie Wolfers
ist Philosophin, Theologin und Seelsorgerin

Gesegnet und behütet ins Neue Jahr

Auch Aaron soll dem Volk Israel Gutes sagen – und zwar in einer bedrängenden Lage: Es liegt schon lange zurück, dass der Gott, von dem die Bibel erzählt, das Volk aus der Fremdherrschaft befreit hat. Vermutlich haben noch viele Israelitinnen den Auszug aus Ägypten selbst miterlebt. Doch nun ziehen sie tagaus, tagein durch die staubig-heiße Wüste. Vom gelobten Land, das ihnen nach der biblischen Erzählung zugesprochen war, ist nichts zu sehen.

In diese Situation hinein soll Aaron sprechen: „Der Herr lasse sein Angesicht über dir leuchten.“ Den Ausdruck „Angesicht Gottes“ verwendet die Bibel als ein Bild für die göttliche Gegenwart. So erinnert dieser Segen das Volk Israel daran: „Ich weiß um deine Not und Traurigkeit. Ich ziehe mit dir durch wüste Zeiten. Mein Name lautet: Ich bin da, wo du bist.“ Der Segen ruft den Israeliten ins Gedächtnis, dass sie Gottes geliebtes Volk sind.

Vertrauen in den großen Zusammenhang

Und so ist der aaronitische Segen ein Widerhall des ursprünglichen Segens, der aus Sicht der biblischen Schöpfungsgeschichte jedem Menschen gilt. Ein Widerhall des guten Wortes, das am Schöpfungsmorgen einem jedem und einer jeden zugesprochen wird: „Es ist gut, dass es dich gibt! Du gehörst zu Gott, und Gott gehört zu dir.“

Lebenskunst
Freitag, 1.1.2021, 7.05 Uhr, Ö1

„Wow“, staune ich, „was für ein großes Selbstbewusstsein bricht sich in diesem biblischen Schöpfungsglauben Bahn!“ Doch oft können Menschen nicht glauben, dass sie wirklich liebenswürdig und wertvoll sind. Am Grund des zerbrechlichen Selbstwertgefühls ortet das biblische Buch Genesis eine tiefe spirituelle Wunde: nämlich, dass die Menschen das Gespür für ihre göttliche Herkunft verloren haben. Dass ihr Vertrauen in den großen Zusammenhang einer Liebe, in die sie eingebettet sind, gestört ist. Und dass damit auch die Beziehung zu ihren Mitmenschen und zur Welt als ganzer nicht mehr stimmt.

Deswegen glaube ich, braucht es immer wieder neu den Segen, der in Angst und Not Gutes zusagt. Der daran erinnert, was mich und alle im Grunde immer schon umgibt und von innen her trägt: göttliches Leben. Die Glückwünsche zum Jahresbeginn wirken wie ein Widerhall dieses göttlichen Segenswortes. In diesem Sinn wünsche ich Ihnen alles Gute!