LEBENSKUNST – Begegnungen am Sonntagmorgen 17.1.2021

Nicht du trägst die Wurzel, die Wurzel trägt dich

Die Wurzel des Christentums | Martin Jäggle im Porträt | Ein ehemals Obdachloser als Obdachlosenbetreuer | Bibelessay von Gerhard Langer

Nicht du trägst die Wurzel, die Wurzel trägt dich – Eine besondere Verbundenheit

Folgt man einer starken Strömung in der aktuellen Theologie, ist das Christentum von seinem Selbstverständnis her wesentlich mit dem Judentum verbunden. Damit dies Christ/innen immer deutlicher bewusst wird, hat der Ökumenische Rat der Kirchen in Österreich im Jahr 2000 den Vortag der internationalen „Gebetswoche für die Einheit der Christ/innen“, den 17. Jänner, als besonderen Gedenktag im Kirchenjahr eingeführt.

Lebenskunst
Sonntag, 17.1.2021, 7.05 Uhr, Ö1

Ein Hauptmotiv stammt dabei von Paulus. Christen sollten nicht vergessen, dass sie eine Frucht des jüdischen Glaubens sind: „Nicht du trägst die Wurzel, sondern die Wurzel trägt dich“ (Röm 11,18), schrieb Paulus an die urchristliche Gemeinde in Rom. Das Bindeglied zwischen Judentum und Christentum ist der Jude Jesus, für Christ/innen der Messias, übersetzt Christus. Brigitte Krautgartner hat mit jüdischen und christlichen Theolog/innen über ihn und die Wurzel des Christentums gesprochen.

Aufgewachsen im Licht der Synagoge und im Schatten des Stephansdoms – Martin Jäggle im Porträt

Einer, der von früher Kindheit an die Verbindung zum Judentum gespürt hat, ist der katholische Theologe und Religionspädagoge Martin Jäggle. Er ist, wie er selbst sagt, in der Wiener Innenstadt im Licht der Synagoge und im Schatten des Stephansdoms aufgewachsen. Von dieser Zeit seiner Kindheit, in der er bittere Armut erlebt hat, bis ins Heute als emeritierter Universitätsprofessor und Präsident des Koordinierungsausschusses für christlich-jüdische Zusammenarbeit hat er viele zum Teil auch sehr ungewöhnliche Erinnerungen gesammelt: als Sohn einer ehemaligen Schauspielerin und eines ehemaligen katholischen Priesters, mit engen emotionalen Bindungen nach Oberösterreich, wo er eine Zeit lang bei einer Pflegefamilie untergebracht war.

Warum er sich im christlich-jüdischen Dialog engagiert, was Kurt Waldheims Wahlkampf 1986 damit zu tun hat, wieso ihm die Entwicklungszusammenarbeit mit den Ländern des Südens so am Herzen liegt – und wie es kommt, dass er in seinen über 70 Lebensjahren noch nie einen Parkplatz gesucht hat, das und vieles mehr hat er Brigitte Krautgartner erzählt.

Lebenskunst – Ein ehemals Obdachloser als Obdachlosenbetreuer

Er weiß was Lebenskunst ist und er praktiziert sie: Wenn Franz sich zu einem oder einer Obdachlosen auf die Parkbank setzt und ein Gespräch beginnt, dann macht er das nicht nur, weil es sein Job ist und er tut auch nicht so, als ob er wüsste, wie sich sein Gegenüber fühlt. Franz hat an eigenem Leib und eigener Seele erfahren, mit wie vielen Problemen obdachlose Menschen zu kämpfen haben. Dass es ihn selbst einmal treffen könnte, das hat sich der Burgenländer mit oberösterreichischen Wurzeln freilich nie vorstellen können.

Denn Franz, der nicht möchte, dass sein Nachname genannt wird, war einst Unternehmer, erfolgreich und gut situiert. Doch weil er auch spielsüchtig war, landete er irgendwann auf der Straße. Im Gespräch mit Maria Harmer erzählt er von diesem Absturz, noch mehr aber über seinen persönlichen Weg heraus aus der Krise. Denn heute ist er „clean“, wohnt nicht nur wieder in einer eigenen Wohnung, sondern arbeitet als „Peer“, als Einsatzkraft, bei „Obdach Wien“. Eine gerade im Winter und in Corona-Zeiten höchst notwendige Einrichtung: Mehr als 22.000 Menschen sind österreichweit obdach- beziehungsweise wohnungslos, gut die Hälfte davon auf Wiener Straßen. Eine genaue Erfassung ist schwierig, die Dunkelziffer hoch – und Franz einer jener, die tatkräftig Hoffnung schenken.

Wenn eine göttliche Stimme ruft – Bibelessay zu 1 Samuel 3,3b-10.19

Alljährlich am 17. Jänner, diesmal ein Sonntag, begehen christliche Kirchen den „Tag des Judentums“. Damit ehren und achten sie die besondere Verbindung zwischen Judentum und Christentum. Vor 21 Jahren wurde dieser Tag zum ersten Mal eigens als Gedenktag im Kirchenjahr eingeführt, zugleich ein Auftakt zur Gebetswoche für die Einheit der verschiedenen christlichen Kirchen. Gerhard Langer, katholischer Theologe und Professor für Judaistik an der Universität Wien, hat das zum Anlass genommen, sich die für diesen Tag in der katholischen Kirche vorgesehene Lesung aus der Hebräischen Bibel näher anzusehen: Sie berichtet vom Propheten Samuel, der als Bub im Jerusalemer Tempel die Stimme Gottes hörte und schließlich auch verstand.

Bibelessay zu 1 Samuel 3,3b-10.19

Redaktion & Moderation: Doris Appel

Buchhinweise:

  • Walter Homolka, „Der Jude Jesus – Eine Heimholung“, Verlag Herder
  • Norbert Reck, „Der Jude Jesus und die Zukunft des Christentums. Zum Riss zwischen Dogma und Bibel. Ein Lösungsvorschlag“, Verlag Matthias Grünewald