Lebenskunst 17.1.2021, Gerhard Langer

Bibelessay zu 1 Samuel 3,3b-10.19

Samuel war der Sohn Hannas und Elkanans. Hanna war lange Zeit unfruchtbar gewesen. Die Geburt Samuels war ein Wunder. Als Dank gab sie das Kind in die Hände des Priesters Eli, der über die Bundeslade wachte, dem damals wohl wichtigsten Heiligtum der Israeliten.

Die Berufungsszene hat fast etwas Komisches. Dreimal ruft Gott Samuel an, dreimal erkennt er nicht, was passiert. Dies ist umso erstaunlicher, als sich Samuel gemeinsam mit seinem älteren Lehrer Eli in Schilo bei der Bundeslade aufhält. Mit ihr, einer goldüberzogenen Truhe aus Akazienholz, welche die Israeliten noch in der Wüstenzeit anfertigten, ist Gottes Gegenwart auf besondere Weise verbunden. Nirgendwo sonst konnte man wohl das Gefühl haben, Gott so nahe zu sein. Und dennoch kommt Samuel nicht auf die Idee, dass Gott ihn rufen könnte.

Gerhard Langer
ist katholischer Theologe und Professor für Judaistik an der Universität Wien

Wenn eine göttliche Stimme ruft

Er unterscheidet sich damit völlig von Abraham, der beim ersten Anruf Gottes sofort reagiert. Aber anders als Samuel war Abraham weit weg, in einem fremden Land, umgeben von Menschen, die diesen Gott wohl nicht einmal kannten. Abraham fragt nicht. Er steht auf und geht sofort los. Samuel muss erst von seinem Lehrer erklärt werden, worum es sich handelt. Und trotzdem oder gerade deshalb wird Samuel einer der bedeutendsten Propheten, Künder Gottes, aber auch Politiker und Richter. Mit ihm endet die Zeit der Richter in Israel, und das Königtum setzt sich durch. Samuel ist es auch, der den unscheinbaren Schafhirten David schließlich zum König salbt.

Lebenskunst
Sonntag, 17.1.2021, 7.05 Uhr, Ö1

Im Neuen Testament wird Samuel zu einer Vorlage für die Figur Johannes des Täufers, der ebenso wie Samuel von einer scheinbar unfruchtbaren Frau geboren wurde. Samuel macht David zum König, Johannes dient dem Jesus aus Nazareth, der aus der Linie Davids stammen soll und nach christlicher Überzeugung der Messias ist.

Gerade Johannes der Täufer ist ein Beispiel dafür, wie das Neue Testament und das spätere Christentum Personen der Hebräischen Bibel als Vorlagen verwendet, um die Ereignisse um Jesus, ja, ihn selbst, verstehbar zu machen. Jüdinnen und Juden, Christinnen und Christen lesen diese Bibel zum Teil auf unterschiedliche Weise. Das ist legitim, solange das Christentum sich dabei bewusst ist und bleibt, dass es die Wurzel niemals abhauen darf, will es nicht selber zu einem leblosen Baum verdorren. So wie ich das Erste und das Zweite Testament lese, ist es der Gott dieser gemeinsamen Bibel, der sich vermitteln will, und dem es zuzuhören gilt.