Lebenskunst 7.3.2021, Thomas Hennefeld

Bibelessay zu Epheserbrief 5,1-2.8-9

In meiner Kindheit hatte ich großen Spaß daran, Erwachsene zu imitieren. Ich setzte mich einmal meiner Mutter gegenüber und fing mit ihr ein Gespräch an. Dabei beobachtete ich sie und bemühte mich, möglichst exakt ihre Bewegungen, ihre Mimik und ihre Gesten nachzumachen, als würde ich ihr einen Spiegel vorhalten.

Eine Zeitlang hat sie das auch ganz witzig gefunden, bis ihr dieses Spiel ziemlich auf die Nerven ging.

Thomas Hennefeld
ist Superintendent der evangelisch-reformierten Kirche in Österreich

Gottes geliebte Kinder

Diese Erinnerung des Nachäffens meiner Mutter ist in mir wach geworden beim Lesen des Epheserbriefes, in dem es am Beginn des 5. Kapitels heißt: „So ahmt nun Gott nach als geliebte Kinder“. Das ist aber noch steiler, als einen Menschen nachzuahmen. Wie soll ich denn Gott nachahmen? Einen Gott, der in meiner reformierten Tradition, übrigens wie im Judentum und im Islam, nicht einmal abgebildet werden darf. Und auch wenn Christus gemeint ist, also übersetzt der Messias der Christinnen und Christen, was soll ich an ihm imitieren? Seine Stimme, seine Worte, seine Mimik oder das, was ich aus diversen Jesus-Verfilmungen kenne?

Es gibt eine lange kirchliche Tradition der „Imitatio dei“, der Nachahmung Gottes. Derjenige, der diese Imitatio bis zur Perfektion getrieben hat, war Franz von Assisi in seinen Grundsätzen der Armut, Besitzlosigkeit, Heimatlosigkeit, in der Gemeinschaft und in der Solidarität mit allen Geschöpfen Gottes, aber auch in der Bereitschaft zum Leiden.

Lebenskunst
Sonntag, 7.3.2021, 7.05 Uhr, Ö1

Im Licht wandeln

Die Nachahmung, von der im Epheserbrief die Rede ist, das ist eher das Gegenteil meines kindischen Spiels und entspricht mehr der Imitatio dei, dem Hineindenken, Hineinleben, ja Hineinlieben in den Mensch gewordenen Gott. Es ist das, was vor allem in protestantischen Strömungen auch schlicht als Nachfolge Jesu bezeichnet wird. So wie ein Mime, ein Schauspieler, in der Rolle seines Lebens ganz aufgeht, so können sich Christinnen und Christen mit dem Weg und der Lehre Jesu identifizieren und versuchen, in seinen Spuren zu gehen.

Und so wie der Geruch eines Tieropfers in früherer Zeit Gott erfreute, wie dies in den biblischen Geschichten erzählt wird, so soll das Handeln der Christinnen und Christen einen lieblichen und angenehmen Duft verströmen, wie es in dieser Bibelstelle heißt. In dieser Haltung kann der Mensch im Licht wandeln, als „Amateur“, was von „Amator“ kommt und so viel heißt wie „Liebhaber Gottes“, als geliebtes Kind des Lichts. Das Licht ist aber nicht dazu da, um sich bescheinen zu lassen wie mit einem Heiligenschein. Auf die Früchte des Wandelns im Licht kommt es an, die da sind: Wahrheit, Güte und Gerechtigkeit.

Das geht nicht mit Spott, sondern mit Achtsamkeit und Aufmerksamkeit, mit Empathie und Solidarität dem Nächsten gegenüber. Nur so hat die Nachahmung Gottes Sinn.