Donnerstag, 18.3.2021, Karl Sigmund

Widerspruch ist möglich

„Gott existiert, weil die Mathematik widerspruchsfrei ist, und der Teufel existiert, weil wir es nicht beweisen können.“ So sprach der französische Mathematiker André Weil.

Was meinte er damit? Nun, jeder Satz der Mathematik muss bewiesen werden, also durch streng logische Schlüsse aus anderen Sätzen hergeleitet. Diese Sätze müssen allerdings auch wieder bewiesen werden, und so weiter. Das kann natürlich nicht endlos gehen. Also einigt man sich darauf, gewisse Sätze als gegeben anzusehen. Das sind die Axiome. Seit Euklid ist man sich einig: Eine mathematische Theorie besteht aus Axiomen und dem, was zwingend logisch daraus folgt. Heute wissen wir: Die logischen Schlussregeln sind ganz einfach, und können vollständig formalisiert, also durch ein Computerprogramm nachvollzogen werden.

Karl Sigmund
ist Mathematiker

Wie ein zu kurzes Gewand

Nun wäre es ausgesprochen peinlich, wenn man sowohl einen Satz als auch seine Verneinung beweisen könnte. Das wäre ein Widerspruch. Alles würde zusammenbrechen. Daher möchte man zeigen, dass so ein Widerspruch nicht auftreten kann. Doch der österreichische Logiker Kurt Gödel hat bewiesen – streng mathematisch bewiesen – dass so etwas nicht möglich ist.

In jeder widerspruchsfreien mathematischen Theorie gibt es Aussagen, die innerhalb der Theorie weder bewiesen noch widerlegt werden können; und die Aussage, dass die Theorie widerspruchsfrei ist, gehört dazu. Ändert man die Theorie, etwa indem man derlei unbeweisbare Aussagen als Axiome dazu nimmt – als Axiom muss man es dann ja nicht mehr beweisen – da tun sich neue Lücken auf. Jede formale Theorie ist wie ein zu kurzes Gewand. Rückt man es zurecht, um eine Blöße zu bedecken, tut sich eine andere auf. Es ist teuflisch! Doch es folgt: Die Mathematik ist grundsätzlich nicht durch ein Computerprogramm ausschöpfbar. Und daher: Gott sei Dank!

Musik:

Yasunori Kawahara/Kontrabaß und Rainer Hoffmann/Klavier: „Apres un reve – Nr. 1“ aus „Trois melodies“ op. 7 von Gabriel Faure, Bearbeitung für Kontrabaß und Klavier von Yasunori Kawahara
Label: Largo 51505