Zwischenruf 21.3.2021, Maria Katharina Moser

Wir alle sind verschieden

Mein rechter Fuß steckt heute in einem lila Socken, mein linker in einem roten. Absichtlich. Ich folge einer Idee, die Menschen im Libanon im Jahr 2013 hatten.

Am 21. März sind alle eingeladen, zwei unterschiedliche Socken zu tragen. Als Symbol für menschliche Verschiedenheit und Einzigartigkeit. Und weil Socken, wenn man sie Ferse an Ferse aneinanderlegt, aussehen wie Chromosomen unter dem Mikroskop.

Maria Katharina Moser
ist Direktorin der NGO Diakonie

Besondere Menschen

Die Sockenaufforderung ist eine Aktion zum Welt-Down-Syndrom Tag, den wir heute feiern. Bei Menschen mit Down-Syndrom ist das 21. Chromosom dreifach vorhanden. Das macht Menschen mit Down-Syndrom besonders.

Welttage, Gedenktage, Aktionstage werden begangen, um besondere Aufmerksamkeit auf ein Thema, eine Lebenssituation, eine Gruppe von Menschen zu lenken. 2006 in Genf ins Leben gerufen und 2012 von den Vereinten Nationen offiziell anerkannt, will der Welt-Down-Syndrom Tag die Besonderheit von Menschen mit Trisomie 21 ins Bewusstsein rufen.

Besonders sein ist gut. „Du bist ein besonderer Mensch!“ Wer hört das nicht gerne? Ein schönes Kompliment. Anderseits – wer freut sich über die Aussage: „Ganz normal bist du nicht!“? Nicht gerade ein Kompliment. Mit besonders und normal ist das so eine Sache. Menschen mit Trisomie 21 erleben das jeden Tag.

„Normale Menschen können“

Besonders sein heißt, unverwechselbar sein, auffallen, anders sein, herausgehoben aus der Masse. Doch in besonders steckt auch sonderbar oder absondern. Normal sein heißt, sein wie alle anderen auch. Nicht aus dem Rahmen fallen, dazu gehören. Doch irgendwie ist es ziemlich langweilig, wie alle anderen zu sein. Und: Was ist schon normal?

Zwischenruf
Sonntag, 21.3.2021, 6.55 Uhr, Ö1

Mit dieser Frage beschäftigt sich Jürgen Ceplak. Er lebt mit Behinderung und arbeitet als Autor und Künstler im Atelier de La Tour der Diakonie in Kärnten. Jürgen Ceplak schreibt: „Normal ist der Mensch ein Wesen so wie alle. Es ist keine Schande, behindert zu sein. Menschen mit Behinderung haben die gleichen Sorgen wie alle Menschen und machen genauso Fehler wie alle. ‚Normale‘ Menschen können Computer spielen, schreiben und eine Familie haben und ein Auto. Normale Menschen können Gebärdensprache verstehen. Normale Menschen können tanzen gehen oder Sport betreiben. Normale Menschen können natürlich auch Künstler sein. Normale Menschen können kochen und Kellnerin sein. Normale Menschen können traurig sein und sich verlieben.“

Zwei verschiedene Socken

Sind Sie nach Jürgen Ceplaks Definition normal? Ich nur zum Teil. Ich spiele nicht Computer und verstehe Gebärdensprache nicht. Tanzen gehe ich auch nicht, Sport betreibe ich nur in kleinen Dosen, und ich bin schon gar keine Künstlerin. Was also ist eigentlich normal? Normal ist das, was wir gewohnt sind. Normalität meint zum einen das, was wir allgemein beobachten können, statistische Häufigkeiten und gemeinhin übliches Verhalten. Zum anderen bezieht sich Normalität auch auf das, was sein soll, auf allgemeine Vorschriften und persönliche Wünsche. Was normal ist, kann sich auch verändern.

Ich finde, Normalität ist dann gut, wenn sie uns einen verlässlichen Rahmen bietet, aber nicht einengt. Das zeigt Jürgen Ceplak in seinem Text sehr schön: „Normale Menschen können“, schreibt er. Es geht um Möglichkeiten. Um Chancen. Um die Chance, das Leben leben zu können, das man ganz persönlich leben möchte. Das sollte für Menschen mit Down-Syndrom normal sein. Wie für uns alle. Weil es normal ist, verschieden zu sein.

Wir alle sind verschieden. Und das ist gut so. Wenn Sie dem zustimmen, lade ich Sie ein: Ziehen Sie heute auch zwei verschiedene Socken an.