Donnerstag, 8.4.2021, Wolfgang Müller-Funk

Ein Häretiker, der Gott lachen lässt

Zum 200. Geburtstag von Charles Baudelaire. „Ich bin wie ein Maler, den ein spöttischer Gott leider zum Malen in der Dunkelheit verurteilt hat.“ Religiöse Traurigkeit durchzieht Baudelaires Oeuvre – poetisches Markenzeichen eines exemplarischen modernen Dichters.

Wie religiös ist der Verfasser der „Blumen des Bösen“? Es gibt kaum ein modernes poetisches Werk, in dem religiöse Anspielungen präsenter sind als hier. Fluch, Segen, Bekenntnis, Erhebung, Beichte lauten Überschriften von Gedichten. Ähnlich wie bei der deutschen Romantik verweist der moralische Grundton auf pietistische Quellen, hier auf die Erbschaft des Jansenismus, der Blaise Pascal zutiefst beeinflusst hat. Mit ihm teilt Baudelaire den schonungslosen Blick auf den Menschen und seine panische Angst vor Einsamkeit und Langeweile.

Wolfgang Müller-Funk
ist Literaturwissenschaftler

Erlösung von Frau, Ferne und Natur

Für die konservativen Kreise seiner Zeit, die sich über den Gedichtband empörten, war er ein gottloser Blasphemiker. Mit entsprechendem Abstand lässt sich sagen, dass Baudelaire zutiefst von Religion berührt ist, ein Häretiker, der Gott lachen lässt, während „schändliche Schergen“ dir – Jesus – „Nägel ins lebende Fleisch trieben.“

In Baudelaires Lyrik schwingt untergründig der Geist der Gnosis mit, jener einflussreichen, in den religiösen Auseinandersetzungen der Spätantike zermahlenen Bewegung, die den alttestamentarischen Schöpfergott moralisch diskreditiert. Ein Fall von Vatermord. Bereits im Titel des Buches wird die theologische Frage nach der Ursache des Bösen aufgeworfen. Die programmatischen Gedichte legen nahe, dass diese Welt eine Art Unterwelt ist, die von einem teuflischen Wesen in uns beherrscht wird. Ihr ist Gott abhandengekommen; die Klöster sind verwaiste Ruinen. In ihr regiert kein Gott, vielmehr treibt hier ein vielgestaltiger Teufel sein Unwesen: „Der Teufel hält die Fäden, die uns bewegen!“

Das ist eine Herausforderung für jedes religiöse Einvernehmen mit der Welt. Erlösung hat sich der Weltflüchtling zuweilen von der Frau, der Ferne und der Natur ersehnt.

Musik:

Mylene Farmer: „L’ horloge“ von Laurent Boutonnat und Charles Baudelaire
Label: Polydor 8355642