Samstag, 10.4.2021, Wolfgang Müller-Funk

Das lyrische Modell des Künstlers

Zum 200. Geburtstag von Charles Baudelaire. „Wie Petrarca werde ich meine Laura unsterblich machen. Seien Sie mein Schutzengel, meine Muse und meine Madonna, und führen sie mich auf die Bahn des Schönen“, heißt es in einem Brief Baudelaires.

Ob die Adressatin wirklich die bezaubernde Aglaé-Apollonie Sabatier gewesen ist, eine der großen Salondamen im Paris vor und nach 1848, ist ungewiss. Unbestreitbar war sie indes die einflussreiche Muse und das lyrische Modell des Dichters, die ihm darüber hinaus in schwierigen Zeiten großzügig zur Seite stand.

Grauen vor der Leidenschaft

Madame Sabatier ist in vielen Gedichten poetisch verewigt. Der Dichter preist die Harmonie ihres reizenden Leibes, die Musik ihres Atems, den Duft ihrer Stimme, das Licht in ihren Augen, die Schönheit der Seele. Aber die männliche Stimme erträgt diese von ihm ins Romantische gehobene Vollkommenheit nicht: Schwer, eines Schutzengels, einer Muse und Madonna zu bedürfen, der zuliebe er die Schönheit lieben soll. Er fürchtet sich vor dem angebeteten weiblichen Engel, vor dem Frohsinn, der Güte, der Gesundheit der angerufenen Frau.

Wolfgang Müller-Funk
ist Literaturwissenschaftler

Die Gedichte für Aglaé-Antonie Sabatier sind Teil einer Geschichte moderner Geschlechtlichkeit. Das männliche Ich irritiert die Helligkeit der Frau, nach der er sich sehnt, irritiert das männliche Ich. Die Bezauberung schlägt in Abwehr und Phobie um. Eines der indizierten Gedichte enthält die Fantasie, die allzu Fröhliche für ihre nun als verlogen erscheinende bonté und gaieté, für Güte und Fröhlichkeit also, körperlich zu züchtigen.

In einem Brief vom 31. August 1857, unmittelbar nach dem ersten intimen Zusammensein, steht zu lesen: „(…) schließlich warst Du vor ein paar Tagen eine Gottheit, und das ist so bequem und so schön, so unantastbar. Jetzt bist Du Frau (…)“ Und er fügt hinzu: „Aber eines weiß ich ganz genau, nämlich dass mir vor der Leidenschaft graut – weil ich sie kenne, mit all ihren Schändlichkeiten …“

Musik:

Eva Busch: „Celle qui etait trop gaie“ von Ferre und Baudelaire
Label: Preiser 90095