Lebenskunst 9.5.2021, Lisa Huber

Bibelessay zu Johannes 15,9-17

Exakt fünfzigmal wird das Wort Liebe im Johannesevangelium verwendet. Daher könnte die Forderung, einander zu lieben, als roter Faden bezeichnet werden.

Vor allem am Ende des Johannesevangeliums wird diese Message eindrücklich überliefert: Liebt einander. Es gibt Bibelwissenschaftlerinnen und -wissenschaftler, die davon ausgehen, dass diese Worte tatsächlich auf Jesus zurückgehen.

Lisa Huber
ist katholische Theologin und Leiterin des Begegnungszentrums „Quo Vadis“

Von den wirksamen Zeichen der Liebe

Diese Bibelstelle aus dem Johannesevangelium ist im Kapitel 15 zu finden. Als Verfasser wird der Apostel Johannes angegeben, doch es ist davon auszugehen, dass dieses neutestamentliche Buch ein späterer Theologe oder eine Theologenschule im Geist des Jesus-Jüngers Johannes am Ende des ersten Jahrhunderts verfasst hat. Zu den Besonderheiten des Johannesevangeliums gehören unter anderem die Abschiedsreden und dieser Text ist Teil der zweiten Abschiedsrede. In den Reden geht es darum, was den ersten christlichen Gemeinden nach dem Tod des Jesus von Nazareth Orientierung geben kann: Es geht um Freundschaft, Abgrenzung, Vertrauen und Trost.

Wie mich der Vater geliebt hat, so habe auch ich euch geliebt. Bleibt in meiner Liebe! Was bedeutet das? Es meint: Geht gut miteinander um! An euren Beziehungen und an der Art, wie ihr miteinander tut, soll man erleben, was es heißt, Christ zu sein, sich auf den als Christus, als Messias, verehrten Jesus von Nazareth zu beziehen. Seid einander Freunde, behandelt niemand wie einen Knecht. Es ist eine Liebesbotschaft, die für die Hörenden von damals gleichermaßen aktuell war, wie für heutige Ohren.

Lebenskunst
Sonntag, 9.5.2021, 7.05 Uhr, Ö1

Worauf es ankommt

Zweitens sagt dieser Text etwas über das Drinnen und Draußen aus, über das Bleiben. Vor einigen Jahren habe ich diese Bibelstelle von oben bis unten, von links nach rechts und sogar von rechts nach links gelesen: Es war eine Exerzitien-Woche, die ich in Stille verbracht hatte. Einmal am Tag gab es die Möglichkeit, mit einem Ordensmann zu sprechen. Das nutzte ich gerne. In den Gesprächen und in den Zeiten der Stille reflektierte ich über das Bleiben. Viele Fragen beschäftigten mich: Kann ich in dieser Kirche bleiben? Kann ich in dieser Stadt bleiben? Und: Kann ich in meiner Liebesbeziehung bleiben? Immer ging es um Beziehung.

Johannes hat mir bei der Deutung geholfen. Worauf es ankommt, ist die Liebe und die wirksamen Zeichen dieser Liebe. Im Nachdenken darüber habe ich entschieden zu bleiben: in der Kirche, in der Stadt und in der Partnerschaft. Ich habe mich entschieden, in der Liebe zu bleiben. Das hat mich frei gemacht.