Lebenskunst 13.5.2021, Franz Josef Weißenböck

Bibelessay zu Apostelgeschichte 1,1-11

60 Jahre sind vergangen seit Juri Gagarin als erster Mensch in das Weltall geflogen ist. Das war eine Raumfahrt. Himmelfahrt meint etwas gänzlich anderes. Schon das Wort Himmelfahrt ist irreführend. Bibelwissenschaftler bevorzugen den Begriff „Entrückung“.

Der Autor der Apostelgeschichte verwendet das Wort eperthe, was mit „er wurde emporgehoben“ zutreffend übersetzt ist. Das entspricht im Übrigen dem antiken Weltbild, wonach der Himmel oben ist. Aber der Himmel ist weder oben noch unten. Der Himmel ist kein Ort, sondern eher ein Zustand – ein Zustand der Vollkommenheit, in dem es keine Zeit gibt und damit keine Vergänglichkeit. Ein Zustand, in dem einfach alles gut ist, ein Zustand vollkommenen Glücks. Es gibt Augenblicke diesseits des Todes, in denen Menschen eine Ahnung davon erfahren.

Franz Josef Weißenböck
ist katholischer Theologe

Man muss nicht immer gleich verstehen

Darüber ließe sich nun unendlich spekulieren, und darüber wurde auch durch die Jahrtausende spekuliert. Ich möchte mich lieber einem anderen Aspekt zuwenden. Es ist ein einziger Satz, aber für mich ist dieser Satz kostbar und tröstlich. Das ist dieser Satz: „Als sie nun beisammen waren, fragten sie ihn: Herr, stellst du in dieser Zeit das Reich für Israel wieder her?“ Dieser Satz fasst die gesamte Hoffnung des Volkes Israel und die Hoffnungen der Jünger Jesu zusammen: Die Hoffnung auf die Königsherrschaft Gottes, die Gerechtigkeit und Frieden bringen und die Herrschaft von Menschen über Menschen beenden soll und die durch Israel auf die ganze Welt ausgeweitet und verwirklicht wird, die Hoffnung auf den Messias. Auch bei den Gefolgsleuten des Jesus von Nazareth waren diese Vorstellungen durchaus weltlicher Natur. Sie stritten darum, wer unter ihnen der Größte sei und wer die besten Plätze einnehmen werde.

Als sie mit Jesus durch Galiläa zogen, hat sie wohl diese Hoffnung angetrieben und beseelt. Und dann wurden diese Hoffnungen vernichtet. Der Kreuzestod Jesu war nicht zuletzt eine religiöse Katastrophe, undenkbar damals für fromme Juden. „Ein Gehenkter ist ein von Gott Verfluchter“, heißt es lapidar im Buch Deuteronomium, das ja auch zum Alten Testament der Christen gehört. Doch darauf folgte das Unbegreifliche, Unvorstellbare: Die Jüngerinnen und Jünger erleben Jesus als Lebenden. Aber immer noch haben sie nicht begriffen, worum es Jesus geht. Das beweist ihre Frage nach der Wiederherstellung des Reichs in dieser Zeit.

Lebenskunst
Donnerstag, 13.5.2021, 7.05 Uhr, Ö1

Was aber soll an dieser Frage tröstlich sein? Mich tröstet der Gedanke, dass die Frauen und Männer, die Jesus begleitet haben, die ihre Hoffnung auf ihn gesetzt haben, die die Katastrophe des Karfreitags und die Überwältigung von Ostern erlebt haben, immer noch nicht begriffen haben. Wie sollte dann ich, wie sollten die Spätgeborenen, die Frauen und Männer, die heute Kirche sind, verstehen! Menschen sind fehlbar, unausweichlich, auch wenn sie gläubig sind, und sie bleiben fehlbar bis zu ihrer Himmelfahrt in der Stunde ihres Todes.

Ach ja, noch ein Wort zu Juri Gagarin: Der Tag seiner Raumfahrt war der 12. April 1961. Der Tag seiner Himmelfahrt aber war der 27. März 1968. An diesem Tag stürzte er mit einer MIG 15 ab.