Praxis – Religion und Gesellschaft 26.5.2021

Corona und Nahost-Konflikt triggern Antisemitismus

Antisemitismus aktuell | Wie viel Identitätspolitik braucht unsere Gesellschaft? | Ungarn: Missbrauch in der katholischen Kirche

Antisemitismus aktuell

Einerseits seien es die Verschwörungsmythen während der Corona-Pandemie, andererseits die jüngsten Kampfhandlungen im Nahen Osten: Es sei „auf jeden Fall immer eine Bereitschaft zu Antisemitismus vorhanden", meint der Historiker und Autor Doron Rabinovici im PRAXIS-Interview, und diese werde seit einigen Monaten getriggert. Das äußere sich etwa darin, „dass Leute das, was Israel tut, mit dem Handeln der Nationalsozialisten vergleichen. Und dass das Land als solches oder das Volk als solches als das Übel schlechthin gesehen wird.“

Um die „Kontinuität und Aktualität des Antisemitismus" – so der Titel – geht es am 27./28. Mai auch bei einer wissenschaftlichen Konferenz an der Universität Wien.

Die Konferenz ist Teil einer Veranstaltungsreihe vor dem Hintergrund des Erinnerungs- und Gedenkjahres 2021, 600 Jahre nach der Wiener Gesera, der Vertreibung und Ermordung von hunderten Jüdinnen und Juden auf Befehl des österreichischen Herzogs Albrecht V..

Die christlichen Kirchen hätten „mit Blick auf das Judentum nicht unbedingt eine ruhmreiche Geschichte“, erklärt die wissenschaftliche Leiterin der Veranstaltungsreihe, die Religionssoziologin Regina Polak.

„Der christliche Antijudaismus ist zwar nicht ident mit dem Antisemitismus der Nationalsozialisten. Aber er hat über Jahrhunderte hinweg in der theologisch begründeten Verachtung der Juden und den damit verbundenen Pogromen schon die Saat gesät, dass der rassistische Antisemitismus dann – unter Anführungszeichen – so gut angekommen ist in Europa.“

Gestaltung: Brigitte Krautgartner

Wie viel Identitätspolitik braucht unsere Gesellschaft?

Bei Themen wie Rassismus, Sexismus und Diskriminierung münden viele Diskussionen in eine Art Patt-Stellung zwischen „Das kannst Du nicht verstehen, Du hast meine Erfahrungen nicht gemacht" auf der einen Seite und auf der anderen Seite „Man darf ja schon gar nichts mehr sagen, so kann man doch nicht diskutieren."

„Wie viel Identitätspolitik braucht unsere Gesellschaft?“ lautete der Titel einer Online-Podiumsdiskussion des Exzellenzclusters „Religion und Politik" und des Zentrums für Islamische Theologie der Uni Münster.

Der ehemalige deutsche Bundestagspräsident Wolfgang Thierse hat dabei linke Identitätspolitiker und -politikerinnen vor aggressiven Anwürfen gegen die Mehrheitsgesellschaft gewarnt: „Wenn man etwas für Minderheiten erreichen möchte, muss man Mehrheiten gewinnen.“

Wir bräuchten als Gesellschaft ein anderes Selbstbild, kontert dagegen die deutsche Kulturwissenschaftlerin und Schriftstellerin Mithu Sanyal: „Wir sind divers. Aber wer im Internet auf Bildersuche für ‚Deutsch‘ geht, sieht fast nur weiße Menschen, der Suchbegriff ‚Kanada‘ dagegen zeigt ein repräsentatives Bild der dortigen Bevölkerung.

Wir bräuchten ein ähnliches Leitbild wie ‚Unity and Diversity‘.“ Der islamische Theologe Mouhanad Khorchide sprach auch über Diskriminierungen innerhalb von Minderheitengruppen. Das sei etwa der Fall, wenn er selbst als liberaler Muslim Kritik an der islamischen Community übe. „Wer dies tut und sich auch nicht als Opfer der Mehrheitsgesellschaft stilisiert, gilt als Nestbeschmutzer.“

Gestaltung: Alexandra Mantler

Ungarn: Missbrauch in der katholischen Kirche

In Ungarn sorgt ein Buch der katholischen Theologin Rita Perintfalvi noch vor Erscheinen für Aufruhr: Die in Ungarn lebende Theologin, die an der Karl-Franzens-Universität in Graz lehrt und dort unter anderem zu Genderfragen in der Bibel forscht, hat Opfer sexuellen Missbrauchs in der katholischen Kirche in Ungarn ausfindig gemacht und deren Geschichten – mit deren Einverständnis – zusammengetragen und darüber ein Buch geschrieben.

Rechtsextreme und rechtskatholische Medien greifen die Theologin nun scharf an, selbst ihr Mann wurde schon bedroht. Die Aufarbeitung von Fällen sexueller Gewalt beginnt in Osteuropa erst langsam anzurollen, in Polen sorgte vor zwei Jahren ein Dokumentarfilm für einen großen Skandal.

Mit der streitbaren ungarischen Theologin hat Judith Fürst gesprochen.