Zwischenruf 6.6.2021, Jutta Henner

Geschichten zur Zeit

Menschen in politischer Verantwortung stehen im Licht der Öffentlichkeit und sehen sich mit hohen Erwartungen konfrontiert. Gute Entscheidungen für die Menschen sind nicht immer einfach zu finden.

Was zeichnet denn überhaupt einen „guten“ Politiker, eine gute Politikerin aus? Wie kann mit Macht angemessen umgegangen werden, ohne den Versuchungen, sie zu missbrauchen, zu erliegen? Diese Frage hat Menschen zu allen Zeiten bewegt.

Jutta Henner ist Direktorin der Österreichischen Bibelgesellschaft

In der Vielstimmigkeit der Bibel und ihrer Sicht und Bewertung von Herrschenden, Königen und Politikern und der Art, wie sie ihre Macht ausüben, fällt vor allem ein Anspruch auf: das von Gott ja nur auf Zeit verliehene und anvertraute Amt mit Demut, Unbestechlichkeit und Bescheidenheit, mit Blick auf die Menschen, auszuüben. Die Bibel gebraucht daher für den „idealen Herrscher“ das Bild eines Hirten, der sich fürsorglich und umsichtig für seine Herde, insbesondere für die Schwachen und Schutzlosen, einsetzt. Als Vorbild gilt dabei Gott selbst, der immer wieder in der Bibel mit dem Bild eines Hirten gezeichnet wird. Und einem Hirten kommt es ja zuallererst zu, das Schwache zu stärken.

Ein Hirte, „der sich selbst weidet“ (Hes/Ez 34,2), also auf eigenen Vorteil, Machtfülle oder gar ökonomischen Gewinn aus ist, ist – so die Bibel – eher ein Zerrbild eines politisch Verantwortlichen. „Ihr aber“, so der Prophet Ezechiel über versagende politische Verantwortliche, „Ihr aber esst das Fett und macht euch Kleider aus der Wolle. Doch ihr weidet die Schafe nicht“ (Hes/Ez 34,3 BasisBibel).

Recht, Gerechtigkeit und Frieden in einem Staatsgefüge – und damit ist zuallererst der soziale Frieden gemeint – hängen auf das Engste zusammen. Mit Respekt vor dem verliehenen Amt und vor Gott und mit Menschenfreundlichkeit soll das Amt ausgeübt werden. So findet sich in einem Gebet für einen König in der Bibel ein deutlicher Hinweis darauf, worauf es beim Regieren ankommt (Ps 72,2.12f. BasisBibel):

Er soll dein Volk gerecht regieren
Und den Armen zum Recht verhelfen.

Ja, er rettet den Besitzlosen, der um Hilfe schreit
Und den Armen, der keinen Beistand hat.

Er hat Mitleid mit den Schwachen und Besitzlosen und sorgt dafür, dass sie am Leben bleiben. Er befreit ihr Leben aus Bedrückung und Gewalt.

Legendär geworden als positives Beispiel für die Ausübung von politischer Macht ist in der Bibel König Salomo, der im 10. vorchristlichen Jahrhundert in Jerusalem regierte. Mit ihm verbindet sich nicht nur die Erinnerung an eine lange Friedensperiode, sondern vor allem an seine sprichwörtlich gewordene Weisheit. In einem Traum, so überliefert es die Bibel, sei Gott selbst Salomo erschienen und habe ihm zugesagt, ihm zu geben, was immer er erbitten werde. Salomo bittet daraufhin Gott um ein „hörendes Herz“. Nur so könne er das Volk richten und zwischen Gut und Böse unterscheiden (1 Kön 3,4-9 BasisBibel). Gott habe diese Bitte sehr positiv gewürdigt, da Salomo weder um langes Leben noch um Reichtum noch um den Tod seiner Feinde gebeten habe. Und so schenkt Gott Samuel ein „weises und verständiges Herz“ (1 Kön 3,12 BasisBibel).

Die Bibel berichtet dann auch, dass sich Salomo durch die ihm von Gott geschenkte Weisheit und seine Gabe, gerechte Entscheidungen zu fällen, „große Achtung“ im ganzen Volk erworben habe (2 Kön 3,28 BasisBibel)…

Es geht also nicht darum, für sich selbst Vorteile anzustreben, sondern darum, das zu wollen, was anderen nützt. Ein hoher Anspruch! Aber – nicht nur in biblischer Zeit hat sich genau das als verlässliche Richtschnur erwiesen, wenn es um das Gemeinwohl geht…