Dienstag, 8.6.2021, Kurt Neumann

Personifikationen des Bösen

Die Schrecken der Welt sind real – ebenso real sind Ängste der Kinder, aber auch die von Jugendlichen und Erwachsenen, selbst wenn sie ihre Ängste nicht mehr so offen zeigen wie Kinder. Das weiß fast jede Art von Literatur, und natürlich wusste das H. C. Artmann erst recht.

Kurt Neumann ist Schriftsteller und Literaturkritiker und war viele Jahre Leiter des Literaturprogramms der Alten Schmiede in Wien.

Er spielte auf der Klaviatur der ihm bekannten Schreckensgestalten, die Erwachsene aus der Lebensrealität ableiten und übersteigern, um Kinder über alle möglichen Bedrohungen zu unterrichten: die ungezählten Personifikationen des Bösen in Märchen, Un-Menschen, die früher durch Vampir- und Monstergeschichten, heute durch ungezählte Computerspiele geistern; die permanent im Irgendwo verübten Verbrechen, die von einer wahren Sintflut an Kriminalromanen und -serien weltweit einem Millionenpublikum zugespült werden. Mit deren Aufklärung möchte man dieses zumindest für die Dauer des Lesens oder Zusehens beruhigen.

Literatur:
H.C. Artmann: Das poetische Werk. Unter Mitwirkung des Autors hrsg, von Klaus Reichert. München/Salzburg 1994
Edition Ö1 Doppel-CD „H.C. Artmann: pur & vertont“, 2021

Immer wieder staunen wir, wie Artmann aus den unterschiedlichsten Arten von Strophen und Versen, Formen volkstümlicher, ältester und neuester Dichtung seine eigene poetische Sprache destilliert; seine schonungslosen „schönen neuen kinderreime“ mit dem Titel allerleirausch setzen ganz auf eine die Kinderängste beschwörende und aber bannende Kraft der Sprache:

KLINGLING! WER IST DA DRAUST?

ein schrumpfkopf, wie ne faust!

was will er mir verehren?
nen kuß in allen ehren!

hat er auch hand und fuß?
bloß s mäulchen für den kuß!

wie kam er dann hier an?
auf krücken, wie ein mann!

wie hat er dann geschellt?
mit der nase, wenns gefällt!

ist schwarz er oder weiß?
nein, grün wie mandeleis!

dann hau er wieder ab,
zurück ins urwaldgrab!