Freitag, 11.6.2021, Kurt Neumann

Wortwitz und Selbstironie

Dass es 1991 der neu gegründeten Schule für Dichtung in Wien gelang, H. C. Artmann als Lehrkraft zu gewinnen, überraschte viele, die ihn kannten.

Kurt Neumann ist Schriftsteller und Literaturkritiker und war viele Jahre Leiter des Literaturprogramms der Alten Schmiede in Wien.

Bedenkt man jedoch seine rund 20 Prosabücher, so erstaunt seine Zusage schon weniger. Denn man kann sie getrost als Lehrmittel angewandter Schreibkunst auffassen.

Sie stützen sich meist auf vielfach erprobte literarische Muster, die dann über kurz oder lang auf den Kopf gestellt werden oder einem Wechselspiel von Freiheit und gebundener Form Platz geben.

Literatur:
H.C. Artmann: Das poetische Werk. Unter Mitwirkung des Autors hrsg, von Klaus Reichert. München/Salzburg 1994
Edition Ö1 Doppel-CD „H.C. Artmann: pur & vertont“, 2021

In einem Geflecht von Wortwitz, Selbstironie, unterschiedlichsten Posen, Rollen und Schablonen werden Zirkusszenarien, Diarien, sachbuchartige Auflistungen, Detektivgeschichten, Abenteuerberichte, Alltagsszenerien, Beschimpfungskaskaden mit althergebrachten und allerneuesten Sprach-Tonlagen fusioniert. Artmann legt dabei die „Machart“ seiner ästhetischen Verfahren immer offen, macht daraus kein Geheimnis.

In diesem großen Prozess schöpferischer Aneignung wirkt sein weit gespanntes Schaffen als Übersetzer wie ein mächtiges Schwungrad der Kreativität: spanischer Barockroman, keltische Dichtung, Bühnenstücke von Molière bis zu Goldoni, Balladen François Villons und Asterix, jiddische Sprichwörter und ungezählt anderes mehr aus ganz Europa.

Allesamt Zeugnisse einer eleganten und beseelten Sprach-Meisterschaft bis hin zur atemlosen Prosa-Tollkühnheit der Nachrichten aus Nord und Süd: Ein über 170 Seiten gespannter Bogen von Bildern, Assoziationen, Redensarten, Phrasen und Kommentaren, ohne eine einzige Unterbrechung durch Satzzeichen oder Absätze.