Das ist vermutlich kein Alleinstellungsmerkmal. Wir waren 35 Kinder und saßen in einem beschaulichen Klassenzimmer einer Vorarlberger Dorfvolksschule. Unser Fräulein, wie wir unsere Lehrerin nannten, das war damals bei uns im Dorf eine normale Begrifflichkeit, lächelte ernst und etwas besorgt, wenn es wieder einmal – mit einem gewissen Unterton – hieß: „Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr.“ Ich kann mich noch gut erinnern, weil ich meinen Banknachbarn einmal halblaut fragte, ob er „denn diesen Hans kenne?“
Bernd Wachter
ist Geschäftsführer des Forums Katholischer Erwachsenenbildung
Die Zeit von Hänschen und Hans
Unser Fräulein war verärgert und ich stand dort, wo ich zu gegebenen Anlässen immer wieder einmal stehen musste: vor der Klassenzimmertüre, und dachte darüber nach, wer denn dieser Hans sein könnte. Eigentlich wollte ich ihn aber gar nicht kennen. Er war mir unsympathisch. Wenn ich meinen Eltern davon erzählte, das war eher selten, meist nur, wenn der Hut brannte, dann hieß es: „Und du schon wieder vor der Klassenzimmertüre.“ Meine Mutter blickte mit besorgter Miene und meinte: „Was Hänschen nicht lernt, lernt der Hans nimmermehr.“
Kein Wunder, dass ich diesen Hans nicht mochte. Ich hatte, das sei betont, eine gute Volksschule und ein sehr gutes Elternhaus. Aber es gibt eben für alles eine Zeit, wie es im biblischen Buch Kohelet heißt. Mitte der 70er Jahre war eben noch die Zeit von Hänschen und Hans. Es wurde uns vermittelt, dass wir nur für uns lernen würden, um später in dieser harten Welt da draußen bestehen zu können. So bekam das Lernen einen schalen Beigeschmack. Dieser Geschmack ist mir lange geblieben. Was mich später erleichtert hat: Ich war und bin damit nicht allein.
Musik:
Claire Pichet, Yann Tiersen und Ensemble Orchestral Synaxis unter der Leitung von Guillaume Bourgogne: „Summer 78“ aus: GOOD BYE, LENIN! / Original Filmmusik von Yann Tiersen
Label: EMI 5820202