Lebenskunst 20.6.2021, Andrea Eckert

Bibelessay zu Ijob 38,1.8-11

Als Kind hoffte ich leidenschaftlich auf ein Zeichen von Gott als Beweis seiner Existenz. Letztendlich wünschte ich mir wohl in aller Bescheidenheit ein Wunder. Ob es eingetreten ist? Vielleicht für einen Moment.

Die Geschichte Hiobs begleitet mich seit langen Jahren. Als junger Mensch, der mit den Informationen über die Gräueltaten des NS-Regimes psychisch nicht zurechtkam, suchte ich erneut nach einer Beziehung zu Gott, um mich mit meinen Fragen an ihn wenden zu können. So stieß ich auf den grandiosen Roman von Joseph Roth und in der Folge erst auf die biblische Geschichte des Hiob.

Andrea Eckert
ist Theater- und Filmschauspielerin

Auf der Suche nach einem Weg durch das Leid

In dieser ist Gott zwar von Hiobs Gerechtigkeit und Gottesliebe überzeugt, doch erliegt er der Einflüsterung Satans, Hiob würde rasch seinen Glauben verlieren, wenn ihm sein gutes Leben, Reichtum, Gesundheit und Kinder genommen würden. Man könnte auch sagen, Gott erliegt der Versuchung und Verführung Satans, seine Zweifel sind fast eine Spiegelung der Geschichte, die sich im Folgenden abspielt. Gott gestattet Satan, Hiob auf schrecklichste Weise mit Schicksalsschlägen heimzusuchen, um seine Gottestreue zu prüfen.

Er verliert alles, Kinder, Reichtum, Gesundheit. Als er endlich nackt auf einem Misthaufen sitzt und sich mit einer Scherbe das bösartige Geschwür kratzt, das ihn quält, antwortet er auf den Spott seiner Umwelt trotz größter Verzweiflung immer noch „Der Herr hat´s gegeben, der Herr hat´s genommen, gepriesen sei der Herr“. Doch Hiobs Demut hat ein Ende. Und darüber war ich froh. Als die sogenannten Freunde ihn ohne solidarisches Mitgefühl belehren, alles, was von Gott kommt, wäre gerecht und also auch sein Schicksal verdient, antwortet er ihnen:

„Ihr seid leidige Tröster! Ich bin nicht weniger wert als ihr. Doch mit dem Allmächtigen hab ich zu reden! …. Friedvoll lebt’ ich – Da hat er mich aufgestört, mich rücklings gepackt und zerschmettert … Doch klebt kein Unrecht an meiner Hand. Mein Beten war lauter! … Warum bleiben die Frevler am Leben, werden alt und reich an Besitz? … Am Tag des Verderbens bleibt der Böse verschont.“

Lebenskunst
Sonntag, 20.6.2021, 7.05 Uhr, Ö1

Eine Geschichte mit Happy End?

Hiob wagt es also, Gott nach dem Grund der von ihm gesandten Leiden zu fragen. Und Gott antwortet „aus dem Wettersturm“, wie es heißt, in all seiner Kraft und Herrlichkeit – ich frage mich, ob zur Einschüchterung Hiobs – dass sich die Dimension der göttlichen Größe seinem menschlichen Begreifen entzieht. Die Taten Gottes, des Allerschaffers, sind nicht mit irdischem Maß zu messen. Der Dialog endet mit Hiobs Erkenntnis, man könnte auch sagen Niederlage: „Nun erkenn ich, dass du alles vermagst … Vom Hörensagen hatte von dir ich vernommen … Nun aber hat dich mein Auge erschaut!“

Ob dieser Einsicht wird er von Gott belohnt und bekommt doppelt wieder, was er besessen hatte. „Und Hiob starb alt und an Tagen satt“ wie es geschrieben steht. Ist HIOB also die Geschichte eines Happy Ends oder die einer Unterwerfung unter die Gewalt Gottes, einer Gewalt, die unbegreiflich und willkürlich bleibt? Ich kann es nur so verstehen.

Hiobs Fragen nach Ursache und Zweck seines Leidens werden zurückgewiesen. Gott sagt ihm: „Hier muss sich legen Deiner Wogen Stolz“ … Hiob wird vor Augen geführt, dass er im Unverstand über Dinge geurteilt hat, die ihm zu hoch und wunderbar sind. Der Gott des Alten oder Ersten Testaments, so mein Eindruck zumindest nach dieser Erzählung, braucht keinen Grund für sein Tun zu nennen und keine Erklärung zu geben. Wie Gott hier von den Autoren im 6. Jahrhundert geschildert wird, begegnet er Hiob nicht auf Augenhöhe, sondern erhebt sich über ihn. Er verlängert Hiobs Leiden ohne Barmherzigkeit bis zu dessen Kniefall. Erst dann kommt die Belohnung.

Es gibt auch den anderen Gott

Diese Geschichte bestärkte mich in der Befürchtung, dass man es wohl mit einem willkürlichen, launischen Gott zu tun haben müsse, der auf Hierarchien besteht, Fragen nicht beantwortet und den menschliches Unglück letztendlich vollkommen gleichgültig lässt. Zumindest scheint er so von den antiken Verfassern verstanden worden zu sein.

Doch es gibt auch den anderen Gott in den biblischen Geschichten des Ersten und des Neuen Testaments, der den Menschen auf Augenhöhe begegnet. Er ist ja ein Gott der Barmherzigkeit und der bedingungslosen Liebe, der Gnade und des Verzeihens, der das Leiden nicht erzeugt, sondern nur zulässt. Es stammt nicht von Gott und geht nicht auf seine Initiative zurück, sondern widerspricht seinem eigentlichen Willen. Doch auch wenn es so sein mag … Die Frage aus meiner Kindheit ist geblieben. Wenn Gott sich als leidender Mensch inkarniert hat, wenn Gott also bei den Leidenden ist, wie kann er ertragen und zulassen, was Tag für Tag an Verzweiflung, Not und Unglück auf dieser Erde stattfindet? Ich habe bis heute keine Antwort darauf gefunden.

Doch vielleicht kann eine Antwort darauf nur GELEBT werden. Bei Desmond Tutu, dem anglikanischen Bischof und Friedensnobelpreisträger aus Südafrika, habe ich gefunden: „Ohne uns hat Gott keine Augen; ohne uns hat Gott keine Ohren; ohne uns hat Gott keine Arme und keine Hände. Gott braucht uns.“