Lebenskunst 18.7.2021, Regina Polak

Bibelessay zu Jer 23, 1–6

Diese Schriftstelle benützt Bilder einer fernen Zeit, in der Menschen im Vorderen Orient noch mehrheitlich als Hirten mit ihren Schafherden lebten. Für mich ist sie hochaktuell, handelt es sich doch um eine heftige Kritik an religiösen und politischen Führern und eine Hoffnungsvision für schwierige Zeiten.

Diese Schriftstelle benützt Bilder einer fernen Zeit, in der Menschen im Vorderen Orient noch mehrheitlich als Hirten mit ihren Schafherden lebten. Für mich ist sie hochaktuell, handelt es sich doch um eine heftige Kritik an religiösen und politischen Führern und eine Hoffnungsvision für schwierige Zeiten.

Regina Polak ist katholische Theologin und Religionssoziologin

Der Prophet Jeremia wirkte in der Zeit von 626 bis ca. 585 vor Christus. Es ist die Zeit der assyrischen und babylonischen Herrschaft, unter die auch das Volk Israel gerät. Die Zerstörung Jerusalems steht bevor und die Zeit der Könige Israels geht zu Ende. Jeremia interpretiert diese Ereignisse aus der Sicht des Glaubens. Dabei kritisiert er vor allem die eigene Führungselite.

Diese Selbstkritik ist typisch für die prophetische Tradition: Vor aller Kritik an politischen Gegnern wird zuerst nach dem eigenen Anteil an einer Katastrophe gefragt. So kommen zuerst die „Hirten“ in den Blick – das zentrale Bild für die religiösen und politischen Führer. Sie sind für die religiösen, sozialen und politischen Vergehen verantwortlich, die das Reich geschwächt haben und in Konsequenz zur Eroberung und Zerstörung Israels führen werden. Jeremia deutet dies als Gericht Gottes.

Lebenskunst
Sonntag, 18.7.2021, 7.05 Uhr, Ö1

Doch bleibt es nicht bei dieser Kritik. Jeremia erinnert daran, dass Gott selbst der wahre Hirte ist. Er ist mächtiger als die Herrscher der imperialen Großreiche und wird das Volk wieder sammeln. Jeremia weckt die Sehnsucht nach einem Nachkommen von König David, der aus jenem Geist herrschen wird, für den der Name Gottes steht: Recht und Gerechtigkeit.

In unserer global schwierigen politischen Zeit sind mir die Worte des Jeremia Warnung und Hoffnung. Ich lese sie als Aufruf an alle politisch Verantwortlichen, Programme und Visionen zu entwerfen, die den Menschen Hoffnung auf eine Welt mit mehr Recht und Gerechtigkeit geben.

Geschieht dies nicht bald, ist das Überleben der Menschheit bedroht. Die Situation ist wie bei Jeremia todernst. Zugleich erinnert mich der Text daran, dass das Versagen von politischen Eliten nicht das letzte Wort haben muss und wird. Der Gott, von dem die Bibel erzählt, kann und möchte Wege der Rettung zeigen. Die Menschen müssen sie allerdings wahrnehmen und handeln.

Ein guter Kompass ist dabei die Sehnsucht nach Recht und Gerechtigkeit. Für mich als Christin hat dieser Kompass einen Namen: Jesus von Nazareth. Wer seiner Praxis nachfolgt, muss sich nicht vor schlechten Hirten fürchten. Er, sie kann sich selbst in seinem Umfeld für mehr Recht und Gerechtigkeit einsetzen.