Es gibt eine Gestalt in der griechischen Mythologie, die das Inbild von Musik ist, von ihrer Macht und Betörungskraft. Es ist der Sänger Orpheus. Sein Spiel und sein Gesang entheben alle, die es hören, in eine andere, neue Welt. Als seine geliebte Eurydike stirbt, beschließt er, in die Unterwelt zu gehen und dort bei den Göttern um ihre Rückkehr ins Leben zu bitten.
Angelika Pressler
ist Theologin und Psychotherapeutin aus Salzburg
Der große Sänger der Antike
Sein Gesang und sein Leierspiel betören den dreiköpfigen Höllenhund; der blinde Fährmann Charon, der ihn über den Fluss des Vergessens geleitet, weint bittere Tränen. Auch Hades, der Gott der Unterwelt und seine Frau Persephone sind aufs Tiefste berührt. Orpheus bekommt seine Geliebte zurück. Leider endet diese Geschichte nicht glücklich. Aber Orpheus ist als der große Sänger der Antike in unsere Kultur eingegangen. Mit seiner Figur wird gezeigt, welche Kraft Musik hat, nämlich Totes ins Leben zu bringen. Unlebendiges aufzuwecken.
So wundert es gar nicht, dass im frühen Christentum Jesus als zweiter Orpheus gesehen wurde. Er, der durch die Melodie seiner Barmherzigkeit die Menschen in ihrem Innersten getroffen hat. Er, der – hinabgestiegen in das Reich des Todes – Leben und Lebendigkeit verheißt, sozusagen Auferstehung.