Zwischenruf 8.8.2021, Prof. Susanne Heine

Dämonen – gibt’s die?

Es ist schon ein Jammer mit uralten Texten wie der Bibel. Da tummeln sich Teufel und Dämonen, die von Menschen Besitz ergreifen. Heute eher ein Thema für die Filmbranche.

Aber – wenn ich mir anschaue, was die Nachrichten auf allen medialen Kanälen täglich frei Haus liefern, komme ich schon auf den Gedanken, dass Menschen von Dämonen besessen sein können, im Großen wie im Kleinen: Profitgier, Korruption, Hass nicht nur im Netz, Folter und Mord, sexueller Missbrauch, Verschwörungstheorien.

Der Katalog menschlicher Verblendungen und Untaten ist lang, aber die Erfahrung zeigt: Mit Moralpredigten lassen sich diese Dämonen nicht vertreiben.

Prof. Susanne Heine ist evangelische Theologin und Religionspsychologin

Also kehre ich zur Bibel zurück. Dort wird erzählt, dass Jesus der Macht der Dämonen entgegentritt. Für Max Weber, Soziologe und Menschenkenner, sind Dämonen und Macht ein Liebespaar, das sich gerne ins Bett der Politik legt. Denn wer politisch agiert, noch dazu als Beruf, strebt nach Macht und nutzt Gewaltsamkeit – wie Max Weber es formuliert – als Mittel.

Geht auch nicht anders, wenn kein Chaos ausbrechen soll. Aber in „jeder Gewaltsamkeit lauern diabolischen Mächte“ weiß Max Weber hellsichtig.[1] Sind sich Politikerinnen und Politiker dessen bewusst? Oder sind sie, vom Bedürfnis nach eigener Größe überwältigt, blind für das, was da lauert? Beides ist möglich.

Zwischenruf
Sonntag, 8.8.2021, 6.55 Uhr, Ö1

In der Bibel wird erzählt, dass Jesus der Welt der Dämonen das kommende Gottesreich entgegensetzt. Aber diese neue und heile Welt will einfach nicht kommen. Dann kann sich Ungeduld breitmachen und die Idee von Menschen Besitz ergreifen, das Heil selbst in die Hand zu nehmen und die Welt von allem zu säubern, was böse zu sein scheint. Weg muss das Andere und Fremde, das fremde Volk, die andere Religion oder Partei. Die Geschichte des 20. Jahrhunderts demonstriert die Folgen: totalitäre Herrschaft und die millionenfache Vernichtung von Menschen. Diese Idee ist freilich nicht erledigt und flammt in radikalen Gruppen immer wieder auf. So paradox es klingt, es gibt ihn offenbar, den Terror des sogenannten Guten. Ein Kampf der Mächte, in dem die Guten siegen und die Bösen untergehen, kann jedenfalls kein menschlicher Kampf sein, nicht „mein Kampf“. Sein Platz sind der Mythos und das Gottesgericht, dort soll er bleiben als Ahnung vom Ungeheuerlichen und als Warnung vor einer menschenfeindlichen Welt.

Service:
Buch, Max Weber, Politik als Beruf, in: Gesamtausgabe, Bd. 17, Wolfgang J. Mommsen/Wolfgang Schluchter (Hg.), Politik als Beruf, Tübingen 1992, Mohr Siebeck.

Noch einmal die Bibel. Dort wird erzählt, dass sich Jesus gegen die Dämonen richtet, aber nie gegen den besessenen Menschen. Damit ist klargestellt: Kein Mensch ist mit einem Dämon identisch. Jedem und jeder kann zugetraut werden, die eigene Verblendung zu durchschauen, und zum menschlichen Maß zurückzukehren. Es wäre schon viel, da und dort Oasen des Mitgefühls zu schaffen in einer Wüste der Gleichgültigkeit. Ende der Schwarz-Weiß-Malerei und für andere da sein auch unter widrigen Umständen, das mögen Dämonen nicht und kann sie vertreiben.

Für mich macht die Rede von Dämonen einen Sinn. Denn sie „rettet“ den Menschen vor seinen eigenen Untaten und unterbricht das erschreckende menschliche Spiel wechselseitiger Dämonisierung. Weil Menschen keine Dämonen sind, wird ihnen zugemutet und zugetraut, rechtzeitig die Alarmglocken zu hören, wenn jedes Mitgefühl auf der Strecke bleibt.