Lebenskunst 22.8.2021, Elisabeth Birnbaum

Bibelessay zu Epheser 5,21-32

Diese Bibelstelle habe ich ausgesucht, weil sie mich immer wieder herausfordert. Sie steht mit ihrem Bild von Mann und Frau konträr zu dem Bild, das die heutige Gesellschaft von Ehe hat.

Ich stoße mich an der Rede vom Unterordnen und ich stoße mich an Vergleichen von Männern mit Christus, weil sie mich an ein Patriarchat erinnern, das heute Vergangenheit sein sollte, es aber noch nicht ist.

Elisabeth Birnbaum
ist Direktorin des Österreichischen Katholischen Bibelwerks

Schwierige Gesellschaftsbilder der Bibel

Ich weiß zwar, dass die heutige Wissenschaft den Text nicht Paulus zuschreibt, sondern einem späteren Verfasser, dem es offenbar darauf ankommt, dass sich die junge Gemeinde in Ephesus nicht unnötig mit der römischen Umgebung anlegt, und deshalb die Anpassung an gängige Gesellschaftsordnungen empfiehlt. Das hilft mir aber nicht bei der Frage, was ich damit nun im 21. Jh. machen soll.

Und hier kommt meine Oma ins Spiel. Denn eigentlich, denke ich manchmal, habe ich zur Bibel eine Beziehung wie zu ihr. Ich liebe meine Oma sehr, aber sie hat oft Ansichten und Redeweisen, die mir fremd sind, die aus einer anderen Zeit stammen und die ich nicht nachvollziehen kann. Ich würde ihr das jedoch niemals übelnehmen, sondern ich versuche immer, ihre Aussagen im guten Sinn zu verstehen und das Anliegen dahinter zu erkennen. Ich weiß, dass sie eine große Lebensweisheit hat. Aber ich behalte mir auch vor, nicht alles eins zu eins zu übernehmen und manches anders zu sehen.

So geht es mir mit der Bibel auch: Deshalb versuche ich, mich nicht mehr an der damals gängigen Gesellschaftsordnung des Epheserbriefs zu stoßen, sondern das Anliegen des Briefes herauszufinden, und das lautet meiner Meinung nach, dem Glauben treu zu bleiben und sich trotzdem in die Umgebung zu integrieren. Also auch in unsere heutige!

Lebenskunst
Sonntag, 22.8.2021, 7.05 Uhr, Ö1

Liebe und Verständnis können wachsen

Und dann entdecke ich auch, dass der Brief sogar etwas Revolutionäres an sich hat. Denn im Grunde wird doch der Mann in dem Text viel mehr in die Pflicht genommen als die Frau: Der Anspruch, seine Frau so zu lieben wie Christus die Kirche, ist unglaublich hoch. Er muss sich ebenso unterordnen wie sie, aber er muss die Frau lieben wie sich selbst und alles für sie zurücklassen. Sie hingegen, zumindest, wenn man den Worten des Briefes folgt, nicht. Das ist ein unerhört neues Gesellschaftsbild. Und dahinter steht ein unerhört neues Gottesbild, nämlich jener Gott, der durch Jesus von Nazareth, den Christus, den Gesalbten, für die Kirche alles hinter sich lässt und sich ihr ebenso unterordnet wie sie sich ihm: Das ist ein revolutionärer Gedanke, damals wie heute!

All das entdecke ich nur, wenn ich liebevoll hinsehe, zwischen Zeitbedingtem und nicht Zeitbedingtem unterscheide und Differenzen aushalte. Dann können, wie ich meine, Liebe und Verständnis wachsen. Wie bei meiner Oma.