Lebenskunst 19.9.2021, Elisabeth Birnbaum

Vom Mut, Fragen zu stellen – Bibelessay zu Markus 9, 30-37

Im eben gehörten Text aus dem Markusevangelium spricht mich vor allem ein Satz an, der normalerweise ein bisschen untergeht. Der Satz: „Sie – die Jünger – verstanden das Wort nicht, fürchteten sich jedoch, ihn zu fragen.“

Ich verstehe den Satz in zwei Richtungen: Zum einen waren laut der biblischen Erzählung die Worte und Taten des Jesus von Nazareth für die Jünger oftmals einfach ein Rätsel. Zum anderen aber, denke ich, wollten sie vielleicht auch gar nicht alles verstehen. Denn Jesus mutet ihnen da Wahrheiten zu, die sie sicher nicht gerne gehört haben. Wenn er von seinem gewaltsamen Tod sprach, war das vermutlich ein Schock für die Jünger. Sie wollten nicht, dass Jesus hingerichtet wird, sie wollten nicht, dass es so endet. Und ich kann mir gut vorstellen, dass sie es schon deshalb gar nicht so genau wissen wollten.

Elisabeth Birnbaum ist Leiterin des österreichischen katholischen Bibelwerks

Es ist spannend, dass gerade das Markusevangelium, das nach Auskunft der Bibelwissenschaft das älteste der vier Evangelien ist, das Unverständnis der Jünger hier und an anderen Stellen so besonders hervorhebt. Vielleicht will der Verfasser seine Leserinnen und Leser beruhigen und herausfordern zugleich und sagen: Was da rund um Jesus geschehen ist, ist schwer zu begreifen. Das ging sogar den engsten Mitarbeitern Jesu so. Kein Wunder also, wenn man mit so manchem, was man hier liest, seine Schwierigkeiten hat, das darf auch so sein.

2000 Jahre später hat sich die Situation offenbar nicht viel geändert. Wenn ich die Bibel lese, verstehe ich trotz meines Theologiestudiums noch immer nicht alles von dem, was darin über Jesus oder Gott geschrieben steht. Und auch ich ertappe mich dabei, dass es darin Aussagen gibt, die ich nicht gerne höre und die ich eigentlich gar nicht so genau wissen möchte.

Mir persönlich hilft indirekt auch der zweite Teil des heutigen Evangeliums: Auf das Bibellesen gedeutet, heißt es da für mich: Versuch erst gar nicht, die Größte oder die Beste darin zu sein. Das ist die falsche Zugangsweise. Gesteh dir ruhig ein, dass du in manchen Punkten wie ein Kind bist und vieles nicht verstehst oder nicht hören willst.

Und dieses Eingeständnis macht mich dann frei, neugierig zu werden, mich zu trauen, Fragen zu stellen, auch wenn sie vielleicht unbedarft sind, nachzuhaken und es genauer wissen zu wollen, auf die Gefahr hin, noch mehr Unverständliches oder Unliebsames zu hören. Und manchmal beginne ich sogar im Gebet mit Gott über manches Schwierige zu diskutieren und mit ihm um Antworten zu ringen. Und die Erfahrung, die ich dabei mache, ist erstaunlich: Je intensiver ich das mache, desto mehr fühle ich mich von Gott angenommen, fast so wie das Kind in Jesu Armen.