Mittwoch, 22.9.2021, Anton Leichtfried

Eine Bibliothek Heiliger Schriften

Die Bibel ist das meistübersetzte Buch aller Zeiten. Und wenn man so will, in vergleichsweise jungen Kategorien der letzten Jahrhunderte, auch das meistverkaufte Buch.

Der Bestseller. Ich würde mir – als Weihbischof wohl nicht verwunderlich – auch wünschen, dass es auch das meistgelesene, ja ein „gelebtes“ Buch wäre.

Anton Leichtfried ist katholischer Weihbischof in St. Pölten

Dabei ist die Bibel nicht einfach EIN Buch. Das deutsche Wort Bibel ist ein Lehnwort aus dem griechisch-lateinischen biblia – was „Bücher“ bedeutet. Eine Sammlung von Büchern, ja eine ganze Bibliothek. Nach katholischer Tradition und Zählart besteht die Bibel aus 73 Büchern: 46 im Alten Testament und 27 im Neuen, von ganz unterschiedlichem Umfang. Auch die literarischen Gattungen unterscheiden sich sehr. Die archaischen Fünf Bücher Mose stehen da neben Geschichtswerken und einem Liebesgedicht, dem Hohelied. Dann finden sich die vielen, auch recht unterschiedlichen Briefe eines Paulus und auch ein eigenes umfängliches Gebetsbuch: die Psalmen.

Noch eine Eigenheit: im Neuen Testament gibt es etwa nicht, wie man unvoreingenommen vermuten könnte, EIN Evangelium, also EINE Schrift über Leben, Botschaft und Bedeutung des Jesus von Nazareth, sondern eben vier. Das wäre in späterer europäischer Zensur wohl nicht durchgegangen, da liebt man ja klare Systematik und Einheitlichkeit. VIER Evangelien, die in vielem gleich, in manchen Dingen aber auch recht unterschiedlich sind. Wohl vor allem, weil die Beschreibung eines Menschen erst aus vielen Perspektiven eine realistische Gestalt annimmt.

Eine Bibliothek voller Lebens- und Glaubenserfahrungen, einzelner Menschen und in Gemeinschaft. Für die Glaubenden ist es Heilige Schrift: Gotteswort in Menschenwort. Menschliches Zeugnis für Erfahrungen mit Gott, und im Neuen Testament mit Jesus Christus. Und darum je neu dem Mühen und Ringen der Deutung und Auslegung und der Aktualisierung übergeben, wie dieses Wort recht zu verstehen ist. Weil es nicht bloß um historische Informationen geht, sondern um die Größe und Verantwortung des Menschen, ja um Leben und Sinn für alle – von der Schöpfung an.