Lebenskunst 26.9.2021, Pater Karl Schauer

Ein Gott der Zumutungen – Bibelessay zu Markus 9, 38-43.45.47-48

In das Reich Gottes kommen: Es sind harte Worte, die der Verfasser des Markus-Evangeliums wiedergibt. Was für einen Gott doch die soeben gehörte Bibelstelle zeigt … Er bleibt das radikale Geheimnis der Gegenwart und der Abwesenheit, der Liebe und der Überforderung, eigentlich ein Gott der Zumutungen.

Ich erlebe ihn als nicht neidisch, nicht kleinkariert, nicht nachtragend. Er hält sich auch nicht an alte Rechtsvorschriften, nicht an das kasuistische Kirchenrecht und befolgt unsere Rezepte kaum. Dieser Gott der Menschen ist wahrscheinlich viel größer als ich es mir ausdenken kann und ganz anders als mein Denken von ihm und mein Reden über ihn.

„Außerhalb der Kirche gibt es kein Heil“ – diese durch Jahrhunderte hindurch gängige Aussage mit nahezu dogmatischer Heftigkeit, ist mir beim Lesen dieses Evangeliums eingefallen. Das Zweite Vatikanische Konzil, das vor ziemlich genau 59 Jahren, im Oktober 1962, eröffnet wurde und immer noch zukunftsweisend ist, hat diese Aussage entschieden zurückgenommen. Gott ist ein Gott aller, er hat keine Berührungsängste, so verstehe ich das.

Das ist keine oberflächliche Vereinnahmung Gottes, keine übergestülpte und besitzergreifende Ideologie, keine Kirchentaktik, sondern die bleibende Wahrheit, die nur der Wahrheit Gottes entsprechen kann. Und dass alle, die ihn suchen, die Sehnsüchtigen, die Gebrochenen und Fragenden, ihn finden können, hängt ja letztlich nicht vom Menschen ab. Das Suchen und Fragen der Menschen bleibt immer vorläufig.

Dieser Gott, an den ich glauben darf, gibt sich zu erkennen, auch in der gequälten Geschichte, auch in der geschundenen Schöpfung, auch in meinem durchkreuzten Leben. Zu sagen: Es gibt keinen Gott – und nicht gleichzeitig einzugestehen, dass er mir fehlt – war für mich immer zu einfach und zu unehrlich. Auch die, die alles wissen und können, die die Welt aus ihren Angeln heben, die alle Lösungen parat haben und mit der geliehenen Macht der Selbstüberschätzung und Täuschung alles bestimmen möchten, sind nicht der liebe Gott.

Gottes Tun ist unaufdringlich, zurückhaltend und leise, vielleicht zu leise. Und nicht alle, die in seinem Namen handeln, die sich in ihrem Tun und Reden auf Gott berufen und immer schon wissen, was er sagt und wie er eingreift, sind Zeugen für diesen Gott. Er begegnet mir in den anderen, vielleicht auch gerade dann, wenn diese anderen nicht immer meinen Vorstellungen entsprechen. Gott redet zu mir und zeigt sich mir durch die Menschen, wie sie sind. Er schreibt Geschichte in dieser Welt mit den Menschen und verzichtet auf sein göttliches „Copyright“. Wer nicht Ärgernis gibt, nicht spaltet und entzweit, nicht aburteilt, verleumdet und den Menschen nicht verachtet, kann schon ein Zeuge, eine Botschafterin für Gott sein, vielleicht anonym, aber wirklich.

Mit den Suchenden, Fragenden und Zweiflern, mit den Gottfernen auf dem Weg zu bleiben, ist für mich immer noch aufregend. Die Gottschwätzer und jene, die alles über ihn wissen, sind oft langweilige und mühsame Wegbegleiter – auch für mich.
Und so hoffe und vertraue ich, dass Gott mir in meinem Leben nicht abhandenkommt. Dass er Mut hat, mit mir zu rechnen, mein Leben mit Vertrauen umfängt, mich braucht, mir viel zumutet, und, dass er mir manchmal auch seine Sorgen sagt.