Lebenskunst 3.10.2021, Susanne Heine

Franz von Assisi – Bibelessay zu Markus 10, 17. 19-22

Ein Mann fiel vor Jesus auf die Knie und fragte: Guter Meister, was muss ich tun, um das ewige Leben zu erben? Jesus antwortete: Du kennst die Gebote: Du sollst nicht töten, du sollst nicht die Ehe brechen, du sollst nicht stehlen, du sollst nicht falsch aussagen, du sollst keinen Raub begehen; Ehre deinen Vater und deine Mutter!

Susanne Heine ist evangelische Theologin

Er erwiderte: Meister, alle diese Gebote habe ich von Jugend an befolgt. Da sah ihn Jesus an, umarmte ihn und sagte: Eines fehlt dir noch: Geh, verkaufe, was du hast, gib es den Armen und du wirst einen Schatz im Himmel haben; dann komm und folge mir nach! Der Mann aber ging traurig weg; denn er hatte ein großes Vermögen.

Der namenlose Mann im Markusevangelium kann sich von seinem Vermögen nicht trennen. Ein anderer Mann tut das – 1.000 Jahre später in der italienischen Stadt Assisi: Franziskus, kurz: Franz, um 1181 geboren. Er verlässt sein reiches Elternhaus, verzichtet auf sein Erbe und lebt als Einsiedler. Was ist da passiert?

Es waren keine rosigen Zeiten, damals. Krieg der Städte. Perugia kämpft gegen Assisi. Franz kämpft mit, träumt davon, ein edler Ritter zu werden. Aber unmöglich für ihn als Bürgerlichen. Die Bürger, durch Handel reich geworden, haben Geld. Der Geldadel setzt sich gegen den Adel durch Geburt durch, der Kapitalismus entsteht.

Über ein Jahr sitzt Franz im siegreichen Perugia im Gefängnis, erkrankt schwer, sein Vater kauft ihn los. Ich kann mir gut vorstellen, dass der junge Franz ein sensibler Mensch war, den das alles sehr mitgenommen hat. Später wird der Friedensgruß zum Merkmal seiner Verkündigung: Selig, die Frieden stiften, sagt Jesus (Mt 5,9). Franz nimmt das ernst. 1219 soll er sogar mit den Kreuzfahrern nach Ägypten gereist sein, um Sultan al-Malik zum Frieden zu bewegen.

Literatur:

  • Volker Leppin, Franziskus. Der Heilige aus Assisi, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 2018.
  • Dieter Berg (Hg.), Franziskus von Assisi, Sämtliche Schriften, Lateinisch-Deutsch, Stuttgart: Reclam, 2014.
  • Wolfram von den Steinen (Hg.), Franz von Assisi, Fioretti: Gebete, Ordensregeln, Testament, Briefe, Zürich: Diogenes, 2013.

Ein Stoffhändler wie sein Vater will Franz nicht werden. Er steigt demonstrativ aus, indem er Waren und Geld seines Vaters einfach verschenkt: Sein Vater tobt, zerrt in vor das Bischofsgericht, die Leute in Assisi hetzen gegen ihn.

Franz versteckt sich in einer Höhle, bis er in der Kirche San Damiano Schutz findet. Dort, unter dem Kreuz, erkennt er seinen eigenen Weg: die Nachfolge Christi.

Wie Jesus von Nazareth zieht er als Wanderprediger umher, ruft zur Buße, kümmert sich um Kranke und Aussätzige, findet Gefährten. Der Kirche, die ihn geschützt hat, wird Franz die Treue halten. Im Gegenzug: Ausgerechnet der Machtpolitiker Papst Innozenz III. fördert die franziskanische Armutsbewegung, gestattet Franz, dem Laien, zu predigen und einen Bettelorden zu gründen, die „Minderen Brüder“ oder Minoriten. Mit Klara, einer geistlichen Weggefährtin von Franz, folgen bald die „Minderen Schwestern“.

Für Franz von Assisi bildet alles ein großes Ganzes: Mensch und Natur, Tiere und Pflanzen, Gestirne und Erde, weil Gott sie alle geschaffen hat. Oft geht Franz singend durch den Wald, so wird überliefert, zähmt den Wolf von Gubbio und predigt den Vögeln. Sie sollen Gott danken, denn: „Sie säen nicht, sie ernten nicht und sammeln keine Vorräte in Scheunen“.

Aber ihr himmlischer Vater ernährt sie doch, heißt es in der Bibel (Mt 6,26), die Franz vertraut ist – ebenso der Prophet Daniel und der Hymnus der drei Männer im Feuerofen, die in einer Litanei die ganze Schöpfung aufrufen, Gott zu preisen: Sonne und Mond, Sterne und Meer, Vögel und Fische.

Daran knüpft Franz an mit seinem berühmten Sonnengesang, bringt aber eine ganz neue Sicht ein: Alle Erscheinungen der Natur sind Geschwister, weil Kinder des einen Vaters. Sonne, Wind und Feuer sind meine Brüder; Mond, Wasser, Erde, auch der leibliche Tod sind meine Schwestern.

Zu meinen Geschwistern gehören auch Menschen, die krank sind und leiden, den Frieden lieben und verzeihen können. Geschwister schauen aufeinander und nutzen einander nicht aus. Daher der warnende Schluss: „Wehe jenen, die in tödlicher Sünde sterben“. Franz war kein Romantiker und will damit sagen: Wer seinen Geschwistern Schaden zufügt, beschädigt sich selbst. Dieser ungewöhnliche Blick war damals neu und ist aktueller denn je.

Genau heute vor fast 800 Jahren ist Franz von Assisi 1226 im Alter von 44 Jahren gestorben. Morgen, an seinem Namenstag, endet die fünfwöchige „Schöpfungszeit“, auf die sich seit 2007 alle Kirchen geeinigt haben. Gebete und Aktionen sollen auf die Dringlichkeit der Bewahrung der Schöpfung und einen entsprechenden Lebensstil hinweisen. Franz von Assisi ist ein echt ökumenischer Heiliger, für Katholische 1979 zum Patron des Umweltschutzes erklärt; für Evangelische ein Vorbild der Nachfolge Christi.