Lebenskunst 17.10.2021, Josef Schultes

Hingabe bis zuletzt – Bibelessay zu Markus 10, 35-45

Jakobus und Johannes: zwei Männer vom See Gennesaret. Iam Kinnéret, so lautet sein hebräischer Name, das „Meer der Harfe“, weil er diesem Instrument ähnlich ist. Iam Lev, „Meer des Herzens“, so heißt der See Gennesaret für mich.

Weil seine Form auch einem Herzen gleicht, aber noch viel mehr: weil mein Herz an dieser Region hängt, „der anmutigsten des ganzen Landes“, wie Schalom Ben-Chorin in seinem Buch „Bruder Jesus“ einmal schreibt. Iam Lev, „Herzens-Meer“. Die erste Übernachtung in Galiläa habe ich für meine Reisegruppen immer ganz nah am See gebucht. Um sein Wasser zu sehen, zu spüren, zu meditieren…

Josef Schultes

ist katholischer Theologe und Bibelwissenschaftler.

Jakobus und Johannes: zwei Fischer vom See Gennesaret. Ihr Leben erfährt eine entscheidende Wende, als sie dem Mann aus Nazaret begegnen. Jesus beruft sie mit Simon Petrus und dessen Bruder Andreas als seine ersten Jünger. „Und sie ließen“, so erzählt der Evangelist Markus, „sie ließen ihren Vater Zebedäus mit seinen Lohnarbeitern im Boot zurück und folgten Jesus nach“ (Mk 1,19f). Die Zebedäus-Söhne nehmen unter den zwölf Aposteln eine bevorzugte Stellung ein. Mit Simon Petrus teilen Jakobus und Johannes zwei große Tiefenerlebnisse Jesu. Sie sind sowohl in der österlichen Stunde seiner Verklärung dabei (Mk 9,2) als auch in der dunklen Stunde seiner Angst im Garten Getsemane (Mk 14,33).

Doch selbst der engste Jüngerkreis ist nicht frei von Konkurrenzdenken: Jakobus und Johannes fordern die besten Plätze in der himmlischen Glorie. Da mag schon auch ihr ungestümes Auftreten mitspielen, denn sie tragen den Beinamen Boanergés, „Donnersöhne“ (Mk 3,17). Aber zunächst entspricht ihr Ansinnen einem bestimmten Konzept des Evangelisten Markus auf dem Weg nach Jerusalem. Denn unmittelbar vor dem eben gehörten Abschnitt kündigt Jesus zum dritten Mal sein Leiden, seinen Tod und seine Auferstehung an. Und wie bei den zwei früheren Ankündigungen Jesu, lässt Markus die Jünger darauf negativ reagieren: mit Widerstand, mit Unverständnis, mit Rangstreitigkeiten.

Jesus anerkennt aber auch die hohe Bereitschaft von Jakobus und Johannes, ihm in der Hingabe des Lebens zu folgen. „Ihr werdet den Kelch trinken, den ich trinke“, sagt er zu den beiden, „und die Taufe empfangen, mit der ich getauft werde“ (V.39). Was Markus noch als zukünftig formuliert, ist bereits traurige Realität geworden, die sich im Jahr 42 n.Chr. in Jerusalem ereignet hat. „König Herodes Agrippa“, so berichtet die Apostelgeschichte, „Herodes Agrippa ließ Jakobus, den Bruder des Johannes, mit dem Schwert hinrichten“ (Apg 12,2).

Doch Jakobus lebt, er hat seinen Ehrenplatz bereits auf Erden: Jakobskirchen sind dafür Zeugen und erst recht die vielen Jakobswege. Ihr Ziel Santiago, Sankt Jakob, weil dort der Legende nach sein Grab gefunden wurde. Klassisch der Camino Francés von den Pyrenäen bis Santiago de Compostela. Ich habe die etwa 800 Kilometer schon mehrmals er-fahren, mit Reisegruppen unterwegs. Begleitet von Pater Angel, dem hervorragenden Kunstkenner und spirituellen Mentor des Jakobsweges. Jeden Tag sind wir aber auch ein Stück der Pilgerroute zu Fuß gegangen, in der Stille des Morgens. „Wer aufbricht, kommt auch heim“, hat uns Pater Angel mitgegeben, „ihr seid auf dem Sternenweg“!