Zwischenruf 2.1.2022, Dorothee Büürma

Wie wichtig ist es, brav zu sein?

Ich schaue die Hausaufgaben meines 8-jährigen Sohnes durch. Es ist Anfang Dezember Er muss Sätze mit neuen Lernwörtern abschreiben: „Lina möchte brav sein.“ „Anton möchte fleißig sein.“

Dann das nächste Wort: „Der Nikolaus“. Ach daher kommen die Sätze! Die Kinder lernen wohl nicht nur Rechtschreibung, sondern gleich auch das richtige Benehmen. Und ich fühle mich in Gedanken nach England zurückkatapultiert. Vor zwei Jahren sind wir von London nach Salzburg übersiedelt. Ich war bis vor zwei Jahren als Pastorin der britischen reformierten Kirche im Osten Londons tätig. In Großbritannien werden die Kinder vor allem in der Advent- und Weihnachtszeit, aber auch immer wieder zu anderen Zeiten, gefragt: „Have you been a good child?“ – bist du ein gutes, ein braves Kind gewesen?

Dorothee Büürma
ist Pastorin der evangelisch-methodistischen Kirche in Salzburg.

Wenn ich bei so einem Gespräch dabei bin, sage ich den Kindern (und auch denen, die so etwas fragen) dann sofort, dass sie natürlich gute Kinder sind – egal, was sie gerade getan haben! Auch brav sind sie immer! Vor allem, wenn sie mal wieder irgendeinen Unsinn angestellt haben.

Wer entscheidet denn eigentlich, was jetzt „gut“ oder „brav“ ist? Meistens werden die Kriterien dafür nämlich von Erwachsenen gestellt. Ich habe zumindest noch kein Kind getroffen, für das die Frage, ob es brav war oder nicht, wirklich interessant ist. Außer natürlich zu Weihnachten in den Ländern, in denen den Kindern erzählt wird, dass Santa Claus oder das Christkind die Weihnachtsgeschenke dann bringt – wenn sie auch schön brav waren.

Und da gibt es sogar Eltern, die absichtlich ein paar leere Packerl in Geschenkpapier einwickeln, um sie dann dramatisch in den brennenden Kamin zu werfen, als Denkzettel für die Kinder, die aus Erwachsenensicht nicht brav genug waren! Und dann stellt sich mir die Frage: Was ist denn ein braves Kind? Oder ein gutes Kind?

Ein Kind, das immer alles perfekt kann, ohne viel zu üben? Ein Kind, das am liebsten stillsitzt und den Erwachsenen nicht in die Quere kommt? Ein Kind, das auf alle Anweisungen sofort reagiert und den eigenen Willen hintanstellt? Das klingt für mich ehrlich gesagt problematisch.

Kinder sehen die Welt anders als Erwachsene. Ihre Perspektive ist noch unangepasst an das, was sich als gesellschaftliche Norm eingespielt hat. Sie machen sich ihre eigenen Gedanken und können durch ihr unangepasst-Sein nahezu prophetisch sein. Wie zum Beispiel Greta Thunberg, die durch ihren Schulstreik für das Klima auf die Probleme der Umwelt aufmerksam gemacht hat. Und die durch ihre jugendliche Leidenschaft viele Menschen inspiriert, ähnlich unangepasst zu reagieren, um Änderungen einzufordern für das Wohl der Welt und ihrer Bevölkerung.

Nicht überall stößt Greta Thunberg damit auf offene Ohren. Unangepasst-sein ist oft unbequem. Ich bin ihr und den vielen aus meiner Sicht braven und mutigen Kindern dankbar, die sich davon nicht abhalten lassen, die Entscheidungen der Erwachsenenwelt zu hinterfragen und ihre eigenen Perspektiven zu entwickeln. Sie geben mir Hoffnung für die Zukunft. „Lasst die Kinder zu mir kommen, denn für Menschen wie sie steht Gottes neue Welt offen“. Das hat Jesus von Nazareth schon vor 2.000 Jahren erkannt. Und der hatte damals laut biblischer Überlieferung auch seine unangepassten Seiten.