Zwischenruf 26.12.2021, Matthias Geist

Die Weihnachtskrippe und die neue Männlichkeit

Neue Männer braucht das Land – das hat die deutsche Sängerin Ina Deter schon vor vielen Jahren gefordert. Und wie sollen die aussehen? Mich inspiriert dabei der Blick auf die Weihnachtskrippe: Das neugeborene Menschenkind wird, so berichtet es die Bibel, kein Macho.

Er wird keiner, der Macht um der Macht willen anstrebt. Dann gibt es noch die damals gesellschaftlich so gering Geschätzten, die Hirten, die ganz ins Zentrum gerückt werden. Ob da nicht einer unmännlich ins Stocken oder gar ins Stottern geraten ist, als er die frohe Botschaft der Engel gehört hat? Ein Vorbild könnte aber auch der Mann im Hintergrund, Joseph, als angetrauter Mann von Maria sein.

Unsere Tage sind geprägt von einer Suche nach Vorbildern, auch männlichen. In allen Lebensbereichen. In der Politik oder im Berufsleben ebenso wie in Familie und Partnerschaft. Nicht nur wegen der zahlreichen Femizide in diesem Jahr. Nicht nur wegen machtbesessener männlicher Persönlichkeiten, die voller Eitelkeit und mangelnder Einsicht agieren, manchmal auch mit einer beschämenden Unachtsamkeit oder Frauenfeindlichkeit. Aber wie können sich Männer angemessen und liebevoll einbringen? Wie werden die nächsten Generationen – auch von mir – bewusst auf ein faires Miteinander vorbereitet?

Matthias Geist
ist Superintendent der evangelisch-lutherischen Kirche in Wien

Wenn einzelne Männer eine Gefahr bedeuten und noch immer das Klima in der Gesellschaft vergiften, wenn einzelne Männer sich in Gewalt oder Machtgebärden gefallen, dann ist Feuer am Dach. Das gilt es zu erkennen und benennen. Auch durch Männer, die sich nicht direkt angesprochen fühlen. Sie können bewusst einen Gegenpol darstellen, sie können in Erziehung und Partnerschaft neue Wege gehen.

Ich erzähle von Anton. Mitte 40, Familienvater in Wien. Anton fühlt sich zwischen den Stühlen. „Nicht Mann zu sein“, das wird ihm vorgeworfen, „Mann zu sein“ aber erst recht. Bist du weich, zeigst du Gefühle und Zärtlichkeit, Einfühlungsvermögen, bist du eben ein Weichei, zeigst keine Ecken und Kanten. Bist du stark und gehst deinen Weg, wirst du beachtet, läufst aber Gefahr, den Bogen zu überspannen. Genau in dieser Unsicherheit, die sich einschleicht, kann sich beides wie Ohnmacht anfühlen. Und es kann kippen, in die falsche Richtung. Vielleicht fehlt die Ermutigung von außen, auch das Zugeständnis an sein inneres Kind, als das er sich fühlt. Vielleicht fehlt ein Gegenüber, ein Gesprächspartner oder eine -partnerin.

Der Austausch in persönlicher Hinsicht will geübt sein. Offene Männerrunden, seit diesem Jahr auch in der evangelischen Kirche angeboten, unterscheiden sich von traditionellen Männerbünden, von Motorradclubs oder Finanzzirkeln. Sie versuchen sich im Entdecken eines entspannten Umgangs. Diese neue männliche Fähigkeit geht einher mit der erstaunlichen Bereitschaft, Lebensgeschichten miteinander zu teilen und sich auch Frauen, Kollegen oder den eigenen Kindern zu öffnen: „Nimm mich so, wie ich bin!“

Im Grund ist Joseph ein Mann mit einer neuen männlichen Eigenschaft. Er tritt zurück, wo er gerade nicht gebraucht wird. Und er ist da, wenn man ihn braucht. Vielleicht sogar zärtlich, das weiß heute niemand. Seine Eigenschaft wird auch der Mutter von Jesus und dem kleinen Kind gutgetan haben. So wie sie allen Männern zum Vorbild werden kann. Sich zurücknehmen und eintreten für andere, das können Männer auch.